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* Der Stammname bedeutet hier wohl allgemein „Räuber" (Feind).
fabelhaften Thiereu, so von der „Habergeiß", dem „Märzenkalb", dem „Waldfnchs"
(Kinderpopanz), der „Mvosknh", den schlangenartigen „Bergstutzen", dem schätze
weisenden „Spornhahn", der „Kranlnatter" (Kronennatter), dem „feurigen Drachen"
und anderen mehr. Auch die Sagen oon weißen Frauen, verborgenen Schätzen,
versunkenen Ortschaften, die zahlreichen Burg- und Ruinensagen enthalten
manche eigenthnmliche, oft mit der vaterländischen Geschichte verwebte Züge.
Die historische Sage in Niederösterreich hat, wie natürlich, eine reiche Aus
bildung erfahren. Wir führen hier kurz ihre Hauptgebiete vor. In den beiden Vierteln
O. und U. W. W. steht die Erinnerung an die Franzosen- und Türkeneinfälle im Vorder
gründe, in den Vierteln O. und U. M. B. jene an die Schweden- und Hussitenkriege. Im
Marchfelde erzählt man auch noch von den verheerenden Einfällen der Huzulen,* im
Leithagebiete besonders von den Grausamkeiten der Kurutzen oder Krutzeu. Ebenso ist das
Andenken an den großen Bauernaufstand in Niederösterreich (zu Ende des XVl. Jahr
hunderts) im Volke lebendig geblieben. Manche Sage oder historische Erinnerung reicht
noch weiter zurück, z. B. bis aus Karl den Großen und die Avarenkriege. Die Sage von
der Entstehung des Namens Steinakirchen (V. O. W. W.) erzählt sogar vom Rückzuge
der Hunnen und dem gewaltigen Attila, ja noch mehr, die „Wackelsteine" („Heidensteine",
„Steinschüsseln") in einigen Gegenden Niederösterreichs führen uns vollends an uralte
heidnische Opferstätten zurück. Von nationalen Sagen sind landläufig bekannt jene vom
ewigen Juden und die Faustsage.
Das niederösterreichische Volksmärchen — ein wahres Muster der Gattung —
birgt eine unerschöpfliche Fülle poetischer Schönheiten; die reiche Mannigfaltigkeit seiner
Gestalten, die wundersam verschlungenen Fäden der Handlung wie der bunte Wechsel der
Scenerien geben Zeugnis) von einer rege schaffenden Phantasie, während hinwiederum
die volksthiimliche Legende in so vielen zarten, lieblichen Zügen das treue Spiegelbild
des gläubigen Herzens ist, welches an dem unmittelbaren Eingreifen höherer, himmlischer
Mächte ins Menschenleben so gerne sich erbaut und in jedweder Erdenuoth Hilfe und
Rettung vertrauensvoll von ihnen erfleht und erwartet.
L-bwohl wir hier kaum die Schwelle des Zauberpalastes überschritten haben, welchen
der schöpferische Volksgeist aufgebaut, so dürfen wir doch zum Schlüsse ahnend es
aussprechen: dem niederösterreichischen Volke sind vom poetischen Schatze, vom „großen
zersprungenen Edelsteine" der deutschen Nation herrliche Bruchstücke als Erbe zugefallen,
es birgt einen wahren Wunderhort in seinem Schoße, aber einen ebenso werthvollen
Talisman im Herzen, den es von altersher bis aus diese Stunde treulich bewahrt hat:
edle Einfalt, frommen Glauben und heiteren Sinn.