181
Niemand aber empfand tiefer die Größe dieses Verlustes als Josef II., den der
Tod seiner Mutter zur Alleinherrschaft in Österreich berief.
Bereits lange zuvor hatte der Thronfolger Maria Theresias die Augen der Welt
auf sich gelenkt. Schon seine, besonders von den Wienern, mit Jubel begrüßte Geburt war
ja ein Ereigniß von der größten Bedeutung gewesen; denn erst durch sie wurde die Zukunft
des habsburgisch-lothringischen Hauses in Österreich sichergestellt.
Seine Kindheit siel in eine stürmische Zeit, Erziehung und Unterricht lagen nicht in
den ersprießlichsten Händen. Bei aller Sorgfalt war Maria Theresia in der Wahl der
Männer nicht glücklich, deren Leitung sie den Prinzen übergab. Die militärische Strenge,
mit der man den frühzeitig hervortretenden Starrsinn des Knaben zu brechen suchte, hatte
nicht den gehofften Erfolg; statt Liebe und Zutrauen in dem eigensinnigen, aber auch
gutherzigen Prinzen zu wecken, rief der Versuch, ihm fremde und noch dazu beschränkte
Meinungen aufzudrängen, nur den Widerwillen und Widerspruch eines überlegenen Geistes
hervor. Im Lehrplan legte der alte Bartenstein, den die Kaiserin dabei zu Rathe zog, auf
die Geschichte mit Recht ein großes Gewicht; aber die breitspurigen Werke, die er für den
Geschichtsunterricht Josefs verfaßte, waren nicht geeignet, den lebhaften und unsteten
Jüngling zu fesseln. Wohl werden als Lehrer in der Jurisprudenz Männer wie Martini
und Riegger genannt, die ihn zuerst einführten in das Naturrecht und in die anderen
Doctrinen der Zeit, aber die eigentliche Schule, aus der der spätere Kaiser Josef hervor
ging, war vielmehr die Anregung, welche er im Contacte mit dem öffentlichen Leben
empfing.
Seit 1759 wurde er mit dem elementaren Verwaltungswesen bekannt gemacht, seit
1761 auch den Sitzungen des Staatsrathes beigezogen, aus dessen Schoße die wichtigsten
Reformen hervorgingen und wo Josef mit den Staatsmännern der Kaiserin in vielfache
Berührung kam. Wie er selbst sagt, hatte er anfangs weder Fleiß noch Ehrgeiz, um sich
lebhaft an den Berathungen zu betheiligen. Allein allmälig kam das Bewußtsein seines
künftigen Berufes immer mächtiger über ihn und er war nun eifrig bemüht, durch Selbst
studium die Lücken seiner Jugendbildung zu ergänzen. Die philosophische und die politische
Literatur jener Zeit übte auf ihn einen um so höheren Reiz, je größer die Rückwirkung
war, welche die Wissenschaft auf das öffentliche Leben zu äußern begann. Auch an Mustern
konnte es Josef II. zu einer Zeit nicht fehlen, in der das platonische Ideal, daß die
Philosophen Könige oder die Könige Philosophen sein sollten, in mehr als einem Staate
sich zu verwirklichen schien. Vor Allem aber waren es doch wohl das leuchtende Vorbild
der eigenen Mutter und das herausfordernde Beispiel Friedrichs II. von Preußen, an
denen sein Ehrgeiz zu dem Entschlüsse entflammte, fortan nur dem Staate zu leben, ihm
alle seine Kräfte zu weihen.