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Ländern sind es die Großen des Reiches, die dem gesalbten Herrscher Treue schwören.
Bei dem Krönungsfeste des ungarischen Königs jedoch ist es der König, der der Nation
Treue schwört, der König gelobt die Gesetze zu halten und auch von Anderen halten zu
lassen und das Reich Stefan des Heiligen gegen jeden Feind zu vertheidigen.
Die Insignien des Königs von Ungarn sind: Krone, Mantel, Scepter, Schwert
und Reichsapfel — lauter uralte heilige Reliquien, deren Zauber befestigt ist durch den
vielhundertjährigen Kampf um die Verfassung und um das Dasein.
Die Reihenfolge des Ceremoniels wird durch den Reichstag bestimmt und die
Krönungsfeierlichkeit selbst gilt für eine Reichstagssitzung. Das Parlament hält sich
hierbei streng an die Überlieferung. Die Ceremonien beginnen schon am Tage vor der
Krönung. Die Bannerherren des Reiches lassen den Schrein der Krone und der anderen
Insignien öffnen und erstatten Seiner Majestät Meldung, daß sie Alles in Ordnung
gefunden. Ans sämmtlichen Comitaten kommen berittene Banderien in Budapest zusammen,
um sie zu vertreten. Der Kettenbrücke gegenüber, amPesterDonau-Ufer, ist der Krönungs-
hügel errichtet, aus Erde, welche sämmtliche Comitate des Landes geschickt haben.
Am Krönungstage unseres jetzt regierenden glorreichen Königs war schon um
5 Uhr Morgens die ganze Stadt auf den Beinen, und um 7 Uhr Morgens standen alle
die vielen Prachtkutschen und in Prunkgewändern angethanen Ritter vollzählig im Hof
raume der Königsburg versammelt. Nach einer halben Stunde kam mit schmetternden
Trompeten eine Abtheilung Husaren durch das Burgthor heraus geritten, hinter ihnen
die Hofpagen, die Leibwache, die Minister und Großen des Reiches, die Mitglieder des
kaiserlichen und königlichen Hauses und dann der König, in der Uniform eines ungarischen
Generals, — sämmtlich zu Pferde. Die Banderien und das Publikum begrüßten den
König mit einem begeisterten Eljensturm. Ihm folgte die Königin in demselben von
einer Krone überragten Glaswagen, in dem ihre erhabene Vorgängerin sich zur Krönung
begeben hatte. AchtSchimmcl zogen langsamen Schrittes denWagen. Die Königin trug ein
weißes, mit Spitzen und Brillanten besetztes Seidenkleid und auf dem Haupte eine von
Brillanten strahlende Krone. Ihr folgte in einem mit sechs Braunen bespannten Wagen
die Obersthofmeisterin, dann der k. und k. Erzherzog und die k. und k. Erzherzogin, und
die Palastdamcn. Eine zweite Abtheilung der ungarischen Leibwache beschloß den Zug.
Der ganze Zug begab sich vor die Ofner Pfarrkirche, an deren Treppe der König durch
den Episcopat empfangen wurde. Die Ceremonie der Krönung selbst dauerte eine Stunde.
Der Fürstprimas von Gran salbte die Stirne des Königs mit dem geweihten Chrisma
und setzte ihm, gemeinschaftlich mit dem den Palatin ersetzenden Ministerpräsidenten Grafen
Julius Andrassy, die Krone des heiligen Stefan auf das Haupt, er umgürtete ihn mit
dem Schwerte des Reiches und schnallte ihm den von der ersten Königin gestickten, mit