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Auch in die Grundmauern der Stuhlweißenburger Kirche Stefans desHeiligen
waren römische Inschrift- und Reliefsteine eingemauert. In der Umgebung der Stadt
zerstreut fand man Bruchstücke von Granitsäulen, augenscheinlich Überreste von römischen
Bauten; diese oder ähnliche Säulen sind gewiß auch bei dem Kirchenban Stefans des
Heiligen verwendet worden. Die Kirche ist durch drei Ausgrabungen (1848, 1864 und
1874), sowie ans erhaltenen Beschreibungen bekannt. Aus den zum Theil bloßgelegten
Grundmauern lassen sich auf die Anordnung, Größe und wiederholte bauliche Erneuerung
der Kirche Schlüsse ziehen, während die Beschreibungen des Hartwik und Bonfinins ein
Bild des Hochbaues und des prächtigen Innern geben. Nach alledem war die Kirche eine
dreischiffige Basilica. Das Mittelschiff schloß nach Osten mit einer halbkreisförmigen
Apsis. Die festgestellte Breite des Mittelschiffes betrug 12 8 Bieter, woraus sich aus
die ganz nnverhältnißmäßige Länge von 64 Meter schließen läßt. Die Apsis war von
zwei freistehenden viereckigen Thürmen flankirt. Ob auch die schmale Westwand zwei solche
Thürme hatte, ist durch die Nachgrabungen nicht ermittelt, doch scheint es beinahe gewiß,
daß dieser Bau als Vorbild für die ähnlichen vierthürmigen Kirchen gedient hat. Das
Mittelschiff war von den Seitenschiffen durch Säulenreihen getrennt, der Estrich bestand
aus Marmorplatten, der in das Mittelschiff einspringende Chor war durch eine mit
Schnitzwerk verzierte Schranke abgeschlossen, der Hochaltar stand unter einem von vier
Säulen getragenen Baldachin (Oidoriuin) und war mit zusammengefügten kostbaren
Steinen geschmückt. Diese Verzierung war übrigens schwerlich eine Mosaik, vielmehr
eher eine in Formen geschnittene Stein-Intarsia. Auch war für die Ausschmückung viel
Gold verwendet.
Die Beschreibung läßt es namentlich durch diese letzten Einzelheiten zweifellos
erscheinen, daß die Stuhlweißenburger Kirche nicht nur in der allgemeinen Anordnung
den altchristlichen Basiliken Italiens entsprach, sondern daß auch die Ausstattung des
Innern — der Chor, der Altar mit seinem Baldachin und dessen Verzierungsweise —
mit der Ausstattung und Ausschmückung jener sehr zahlreichen Basiliken übereinstimmte,
welche in dem uns nähergelegenen nördlichen Theile Italiens und in Dalmatien, besonders
aber in Istrien vom VI. bis zum XI. Jahrhundert erbaut wurden. Für alle diese Kirchen ist
die Anordnung der römischen altchristlichen Basiliken Regel; ihr geschnitztes Zierwerk
dagegen trügt den Charakter der unter byzantinischem Einfluß umgestalteten und zum
Theil mit barbarischen Elementen gemischten römischen Kunst. Diese Verzierungen
bestehen neben den aus farbigen Steinen verfertigten Intarsien aus Schnitzwerk in Stein,
das zwei besondere Hauptkennzeichen aufweist. Die eine Eigenthümlichkeit ist, daß die
Formen sich flach aus dem Grunde erheben und, statt sich nach abwärts zu runden, kantige
Ränder haben; die andere liegt in der starken Hinneigung zu Flechtformen.
Ungarn IV. 8