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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Ungarn, Band 1

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auswendig weiß.) — In diesen Scherzen ist freilich wenig Ursprünglichkeit und noch 
weniger Poesie zu finden. 
Ungewöhnlicher Witz, Erfindung, geschickte Wortverdrehungen und Wortspielereien 
kennzeichnen jene übennüthigen, nicht sittenlosen, nur körperfrohen Räthselsprüche, welche 
sich auf geschlechtliche Verhältnisse beziehen. In diesen ist die Laune und spöttische Ader 
des Volkes unerschöpflich. Eigenthümlicherweise ist bei dergleichen immer der Klang oder 
Inhalt der Frage schelmisch, fleischlich, die Antwort aber nie. Dies beweist, daß Vernunft 
und Einbildungskraft des Volkes sich viel mit Dingen des Fleisches beschäftigen, ohne das 
jedoch zeigen zu wollen, wobei man vielmehr sogar täuscht, indem man thut, als habe man 
gar nicht selber, sondern nur der Gefragte an dergleichen gedacht. 
Unerschöpflich reich an spielender Laune, neckischer Schrecklust und an Possentrieb sind 
die scherzhaften Märchen, dazu kommt noch in den Kindermürchen ein Sinn für Tändelei 
und Schabernack immer mit entsprechend gemodelter Rede, häufig in tacthaltenden 
Sprüchlein oder Versen. In wenigen neueren Sprachen findet sich eine solche Einfachheit 
und kindliche Gegenständlichkeit des Ausdruckes, so viel Urwüchsigkeit und Eignung zu den 
seltsamen Spielen des Gemüths als hier. Durch manches Märchen zieht sich refraingleich 
ein Sprüchlein, eine Redensart, ein sinniges, stimmungsvolles geflügeltes Wort, z. B. 
„Gntthat bringt dir Gutes". In anderen sind es Verteilen: „Tellerplatt die Sohlen, 
buschig mein Wedel, Bräutchen mein Mädel, Thür auf! will dich holen". Oder: „Blas 
mein Mörder, blas wie der Wind, auch ich war mal ein Königskind, bin ein Ahorn- 
bänmchen itzt, bin ein Flötchen ans Ahorn geschnitzt" u. s. w. Dabei ist die ganze 
Erzühlungsweise von nrväterhafterSchlichtheit, sie bewegt sich in kindlichen, unverbundenen, 
frei beweglichen Sätzen, unter naiven Bemerkungen und kecken Vergleichen. Interessant ist 
der Humor, den die Erzähler selbst der Erzählung beimischen. Sie empfinden es voll 
kommen und bekennen es, daß sie nichts Wahres, sondern nur fabulirte Dinge sagen. „So 
Hab' ich's gesehen, wie ich's jetzt sehe", sagen sie zuweilen. Ausgehen aber muß die 
Geschichte auf alle Fälle gut, mit Heirats- und Hochzeitsschmaus, wo „gegessen, getrunken" 
wird. Die Helden des Märchens „leben noch jetzt, wenn sie nicht gestorben sind". Zu 
Beginn des Märchens wird der Hörer scherzhaft aufmerksam gemacht, daß da von keinen 
wirklich geschehenen Dingen die Rede sein soll, sondern daß er sich ins Reich der Phantasie 
zu begeben hat. Der Anfang lautet häufig so: „Wo es war, wo es nicht war, jenseits des 
Operenzien-Meeres gar war es, des ausgefallenen Ofens eingefallene Seite war es. . .", 
oder: „Der Rock unserer Großmutter hatte neunundneunzig Falten, in der neunund 
neunzigsten Hab' ich dieses Märchen gefunden." 
Volksmärchen gehören übrigens auch bei uns schon zu den Raritäten, und wenn 
jetzt noch welche entstehen, gehören sie eher der besseren Gattung von Parabeln an.
	        
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