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auswendig weiß.) — In diesen Scherzen ist freilich wenig Ursprünglichkeit und noch
weniger Poesie zu finden.
Ungewöhnlicher Witz, Erfindung, geschickte Wortverdrehungen und Wortspielereien
kennzeichnen jene übennüthigen, nicht sittenlosen, nur körperfrohen Räthselsprüche, welche
sich auf geschlechtliche Verhältnisse beziehen. In diesen ist die Laune und spöttische Ader
des Volkes unerschöpflich. Eigenthümlicherweise ist bei dergleichen immer der Klang oder
Inhalt der Frage schelmisch, fleischlich, die Antwort aber nie. Dies beweist, daß Vernunft
und Einbildungskraft des Volkes sich viel mit Dingen des Fleisches beschäftigen, ohne das
jedoch zeigen zu wollen, wobei man vielmehr sogar täuscht, indem man thut, als habe man
gar nicht selber, sondern nur der Gefragte an dergleichen gedacht.
Unerschöpflich reich an spielender Laune, neckischer Schrecklust und an Possentrieb sind
die scherzhaften Märchen, dazu kommt noch in den Kindermürchen ein Sinn für Tändelei
und Schabernack immer mit entsprechend gemodelter Rede, häufig in tacthaltenden
Sprüchlein oder Versen. In wenigen neueren Sprachen findet sich eine solche Einfachheit
und kindliche Gegenständlichkeit des Ausdruckes, so viel Urwüchsigkeit und Eignung zu den
seltsamen Spielen des Gemüths als hier. Durch manches Märchen zieht sich refraingleich
ein Sprüchlein, eine Redensart, ein sinniges, stimmungsvolles geflügeltes Wort, z. B.
„Gntthat bringt dir Gutes". In anderen sind es Verteilen: „Tellerplatt die Sohlen,
buschig mein Wedel, Bräutchen mein Mädel, Thür auf! will dich holen". Oder: „Blas
mein Mörder, blas wie der Wind, auch ich war mal ein Königskind, bin ein Ahorn-
bänmchen itzt, bin ein Flötchen ans Ahorn geschnitzt" u. s. w. Dabei ist die ganze
Erzühlungsweise von nrväterhafterSchlichtheit, sie bewegt sich in kindlichen, unverbundenen,
frei beweglichen Sätzen, unter naiven Bemerkungen und kecken Vergleichen. Interessant ist
der Humor, den die Erzähler selbst der Erzählung beimischen. Sie empfinden es voll
kommen und bekennen es, daß sie nichts Wahres, sondern nur fabulirte Dinge sagen. „So
Hab' ich's gesehen, wie ich's jetzt sehe", sagen sie zuweilen. Ausgehen aber muß die
Geschichte auf alle Fälle gut, mit Heirats- und Hochzeitsschmaus, wo „gegessen, getrunken"
wird. Die Helden des Märchens „leben noch jetzt, wenn sie nicht gestorben sind". Zu
Beginn des Märchens wird der Hörer scherzhaft aufmerksam gemacht, daß da von keinen
wirklich geschehenen Dingen die Rede sein soll, sondern daß er sich ins Reich der Phantasie
zu begeben hat. Der Anfang lautet häufig so: „Wo es war, wo es nicht war, jenseits des
Operenzien-Meeres gar war es, des ausgefallenen Ofens eingefallene Seite war es. . .",
oder: „Der Rock unserer Großmutter hatte neunundneunzig Falten, in der neunund
neunzigsten Hab' ich dieses Märchen gefunden."
Volksmärchen gehören übrigens auch bei uns schon zu den Raritäten, und wenn
jetzt noch welche entstehen, gehören sie eher der besseren Gattung von Parabeln an.