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lieferungen hervorgegangen, entwickelte sich unter den letzten Königen des Ärpadenhauses
und unter den großen Königen aus gemischten Häusern zu einer Kunstindustrie von
hohem Niveau, welche thatsächlich auf Europa hinauswirkte. Die edlen Gestaltungen der
italienischen Renaissance wiederspiegelten sich auch in Ungarn und zeitigten reiche Früchte
am glänzenden Hofe Matthias' und nach dem Beispiele desselben rings umher im Lande.
Allein die langen Kämpfe gegen die Osmanen und später die türkische Botmäßigkeit zwangen
auch die Industrie in jenen anfänglichen Zustand zurück, aus dem sie sich vor Jahrhunderten
emporgearbeitet hatte. Das lange Darniederliegen, welches auf die Befreiung vom Türken
joche folgte, war auch ein Darniederliegen der Industrie, dessen empfindlichste Wirkung
darin bestand, daß die verstörte Nation für derartige Beschäftigungen keinen Sinn, für
deren Pflege nicht Kraft und Muth haben konnte. Als die westlichen Volker gerade auf
industriellem Gebiete große Fortschritte machten, als die großartigen wissenschaftlichen
Errungenschaften der neuesten Zeit die alte Ordnung der Industrie vollständig umkehrten
und die Welt eine so riesige industrielle Production entfaltete, wie man sie noch vor einem
Jahrhundert gar nicht geträumt haben würde, da konnte sich Ungarn an dieser großen
industriellen Bewegung nicht betheiligen.
Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts raffte sich zwar die Gesetzgebung auf
und begann auch auf die wirthschaftlichen Fragen ein Augenmerk zu richten, aber eine so
gründliche Arbeit der commercielleAusschuß des Reichstages von 1790/91 lieferte, sie blieb
dennoch auf dem Papiere und erst im Laufe dieses Jahrhunderts wurde die eine und andere
seiner damals angeregten Ideen verwirklicht. Hinsichtlich der Industrie blieben Regierung
und Gesellschaft in Ungarn lange Zeit gleich nnthätig, und erst als die Reformfragen der
Dreißiger- und Vierziger-Jahre immer mächtiger zur Geltung gelangten, begann die Nation
auch für ihre materiellen Interessen Theilnahme zu zeigen und die Versäumnisse von
Jahrhunderten durch umso fieberhaftere Thütigkeit gut zu machen.
Graf Stefan Szechenyi, der für sümmtliche Bedürfnisse des Landes einen so scharfen
Blick hatte, übernahm auch ans diesem Gebiete die Führung. Sein Genie gelangte bald
zur Erkenntniß, daß die einseitige landwirthschaftliche Production den Interessen'eines
fortschreitenden Landes nicht entsprechen könne. Die Urproduction, bei deren, wenn auch
verhältnißmäßig geringer Cultivirung gleichwohl die Nation in Ermangelung von
Consnmenten leicht im eigenen Fette ersticken konnte, hielt er für steigerungsfähig und
wollte sie auch steigern, aber als ebenso nothwendig und unentbehrlich erkannte er die
Hebung der Industrie. Vor Allem richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Hervorrufung,
beziehentlich Förderung der mit der Landwirthschaft verknüpften Industriezweige. Sein
Adlerblick erschaute zuerst den Schatz, der im ungarischen „Stahlweizen" ruht, wenn daraus
nach richtigem System jenes schneeweiße Mehl hergestellt wird, ans dem sich jener weiche,