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Wenn man an einem Hellen Maimorgen die höchste Spitze des Fruska gora-Gebirges
besteigt, — der Aufstieg ist auf Gebirgspfaden am besten vom Kloster Beocin aus in
zwei Stunden zu bewerkstelligen, — so genießt man bei klarem Himmel eine wahrhaft
herrliche Aussicht. Im Osten schweift das Auge über die ebenen Savegelände, aus denen
dichtgesäte große Dörfer mit ihren Kirchthürmen Herausschimmern. In der Ferne windet
sich der Savefluß, einer riesigen silberhellen Schlange gleich, dahin und jenseits des
Flusses blinken die Häuser und Paläste der serbischen Königsstadt Belgrad, die sich auf
einer Erhöhung am Fuße des Avalagebirges ausbreitet. Links streift das nimmermüde
Auge über die kornreichen Gefilde des gesegneten Banates, dessen humusreiche Fluren
von den Wellen der majestätischen Donau bespült werden. Im Südwesten kann man von der
Höhe des Crveni Cot auch mit unbewaffnetem Auge die bosnischen Gebirge unterscheiden,
die sich an der Mündung des rauschenden Drinaflusses anfthürmen. Ein Blick nach
Nordwest zeigt uns die Donau, die sich in ihrem Laufe von Vukovar her, von
den sruchtreichen Gefilden der Bäcska zurückkehrend, so dicht au die Hügel und
Bergkuppen des Fruska gora-Gebirges anschmiegt, daß sie einem Bande gleich einen
Kranz von lieblichen Dörfern und eine nur durch charakteristische Schluchten zeitweilig
unterbrochene Flucht von Obst- und Weingärten umschlingt. Will nun aber das
Auge von der entzückenden Fernsicht, die dieser höchste Punkt des Fruska gvra-
Gebirges bietet, ausruhen, und wendet sich für einen Augenblick den üppigen
Wäldern zu, welche die Bergeshöhen rings um den Crveni Cot bedecken, so entrollt
sich ihm ein Panorama, das seinesgleichen sucht. Die waldbedeckten Berge lagern
ringsum gleich riesigen grünen Zelten, die sich zwar aneinanderlehnen, aber durch tiefe
Einschnitte dennoch scharf abgegrenzt erscheinen. Das saftige Grün der gewaltigen Baum
kronen ist in allen Nuancen abgetönt, je nachdem im schattigen Walde die schlanke Roth-
buche, die breitästige Linde oder die knorrige Zerreiche vorherrscht.
In den Büschen zu unseren Füßen schlagen Nachtigallen, deren melodisches
Lied hie und da von der Stimme des Spottvogels unangenehm unterbrochen wird. Aus
einer Schlucht, aus deren Tiefe das Rauschen des reißenden Gebirgsbaches nur noch
leise heraufschallt, ertönt plötzlich weithin hörbar der tiefe, gedehnte Ruf eines streitbaren
Brunfthirsches; am Waldessäume springt ein furchtsames Reh auf und beeilt sich recht
zeitig den Wechsel zu erreichen; im Thale kracht ein Schuß, ein kleines Weißes Wölkchen,
nicht größer als eine Schneeflocke, steigt langsam über den Baumkronen auf und zieht
wie ein leichter Nebelhauch über die niederen Hecken. Gedämpft tönen aus der Ferne die
sonoren Klänge der Klosterglocken herüber und wenn man besser hinhorcht, vermeint man
die silberhelle, aber dennoch klagende Stimme eines jungen Mönchbruders zu vernehmen,
der im erhebenden Liede den Allmächtigen preist.