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in Wiener-Neustadt ist dafür bezeichnend. Anderseits kamen die Maßnahmen des Kaisers
zur Förderung des geistigen Lebens in Böhmen und zur Hebung der materiellen Cultur
des Landes beiden das Königreich bewohnenden Völkern zugute. Auch für das cechische
Volk ruhen die Keime zu seiner Wiedererhebung im XIX. Jahrhundert in den Bestrebungen
und Ideen der theresianischen und josefinischen Epoche, und Zahl und Ausbreitung im
Lande betreffend hat damals das slavische Element nur im Norden verloren, dagegen
neben der fortschreitenden Cechisirung deutscher Sprachinseln an der Sprachgrenze im
Nordosten, im Süden und im Westen gewonnen. Hier wurden in eben dem Maße, als
der Verkehr mit dem deutschen Ausland zurückging, die Beziehungen zu dem slavischeu
Innern des Landes zahlreicher. Für das deutsche Volk in Böhmen sind die erhebendsten
Empfindungen für des Vaterlandes Größe und Ruhm mit dem Namen Josef II. ver
bunden. Josefs Bild ziert in tausend Formen die Hütte und den Palast und ungezählte
Denkmäler aus Erz und Stein bekunden die kindliche Verehrung, den unauslöschlichen
Dank, den die deutsche Bevölkerung für ihn, den „Einzigen", im Herzen trägt.
Auch in Böhmen wirkte die rasche Aufeinanderfolge und das Kleinliche mancher
Reformen verwirrend, zeigte sich die Bevölkerung unreif, Adel und Clerus vielfach nicht
opferwillig genug, das Beamtenthum oft widerwillig oder unfähig. Das böse Beispiel
Anderer, Mißerfolge und Verlegenheiten des Kaisers ermunterten auch hier zur Oppo
sition. Zur Zeit, als Josef, der gegen das mit ihm in Deutschland und Mitteleuropa
rivalisirende Preußen den engen Anschluß an Frankreich und Rußland festhielt, eben
des letzteren wegen mit der Pforte in Krieg und mit Preußen in Spannung gerathen
war und in Böhmen die Aufstellung eines Heeres gegen Preußen erfolgte, richtete eine
Anzahl böhmischer Stände eine Petition nach Wien au den Kaiser um die Herstellung der
alten Verfassung. Sie traf Josef II. nicht mehr am Leben.
Dafür suchte sein Bruder und Nachfolger Kaiser Leopold II. wie überall so auch in
Böhmen mit Mäßigung und Festigkeit die Aufregung zu beschwichtigen und die wankende
Ordnung wiederherzustellen. Obwohl der Kaiser den Landtag sofort berufen hatte, war er
doch weit entfernt, in vollem Umfange die Wünsche der Herren zu erfüllen, die nicht
blos die Beseitigung der josefinischen und theresianischen Einrichtungen, sondern wesentlich
auch der Verneuerten Landesordnung forderten. Schon gerieth die Landbevölkerung in
Besorgniß, der kaum errungenen Rechte und Erleichterungen wieder verlustig zu werden.
Aber der Kaiser war entschlossen, das Wesentliche und als vortheilhaft Erprobte zu erhalten,
jedoch in Fragen von mehr formeller Bedeutung nach Möglichkeit den geäußerten Wünschen
des Landes und dem Herkommen zu genügen. Neuerungen von immer noch fraglichem
Nutzen wurden ausgegeben. So erfolgten noch während der Berathungen des Landtages
die Aufhebung des Steuerpatents Josefs II. und die Wiedereinführung der Robot