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Friedhöfe: „Mutter, liebe Mutter, wem hast du uns befohlen?!" „Wem andern, liebe
Kinder, als Gott dem Herrn! Ihr beiden, die ihr größer seid, hütet einer den andern!
Für das allerkleinste Knäblein wird der Herrgott selbst mir sorgen."
In der Form sind es zwei Merkmale, die das lyrische Volkslied- der Böhmen
charakterisiren. Im Ausdruck liebt es das Diminutiv: „Väterchen", „Mütterlein",
„Schwesterchen", „Brüderlein"; dem Mädchen geht nichts über ihr „Jägerlein" in seinem
grünen „Jäckchen", dem Geliebten nichts über sein liebes „Herzchen" mit ihren schwarzen
„Äugelein", dem Mann nichts über sein „Weiberl mit dem schmucken Häuberl". Diese
zärtliche Verkleinerung geht selbst auf leblose Dinge über: nicht „Nachtigall — slavL",
sondern „Nachtigallchen — slnviesir"; nicht „hinter unserer Scheune — stoäoln",
sondern ton nnm Ztoäoliöüon"; nicht „auf unserem Holzplatz — nätorn", sondern
„NN toin NN86IN nntonieün«; nicht „Schaufel — lopntn", sondern „lopntün? re. re.
Das zweite Kennzeichen des Volksliedes, und dies nicht blos des lyrischen, ist die
Anknüpfung des Gedankens an einen äußerlichen Vorgang oder Gegenstand, und zwar
immer aus der umgebenden Natur. Mitunter ist es nicht einmal ein Anknüpfungs-,
sondern ein bloßes Eingangsbild, weil sich ein innerer Zusammenhang desselben mit dem
Gedanken, der folgt, nicht finden läßt, zum Beispiel:
Das Wasser fließt, es fließt auf die neue Mühle —
Wie schwer ist es zu lieben, was nicht zum lieben ist.
oder: „Was ist das für ein Würzelchen, das Farnkraut? Schon führen sie dich, mein
Mädchen, nach Prag! Was ist das für ein Würzelein, der Schneeball? Schon führen sie
dich, mein Liebchen, dorthin, wo du nie gewesen bist". Sinnvoll wird häufig die Rose
zum Anknüpfungsbild genommen, im guten, aber auch im bösen Sinn, ebenso der Apfel,
von Sträuchern der Bachholder (Schneeball, viknrrmin opnlnch: „Ach die Rose fällt ab,
mein Geliebter geht von mir." „Aus dem Dornstrauch sticht die Rose wie die falsche
Maid, Dornenröslein sticht die Hand und die falsche Maid das Herz." Znm wankel-
müthigen Mädchen singt der Bursche:
Es kugelt sich, es kugelt das rothe Äpfelein,
Wer wird dich wohl kriegen, mein liebes Mägdelein?
Die Braut scheidet aus dem Elternhaus, sie sagt traurig zu ihrer Mutter: „Bald
wirst du mich verlieren, wie der Baum das Äpfelein", und zu ihren Freundinnen: „Bald
werdet ihr mich verlieren, wie die Ähre das Korn". Doch der Geliebte tröstet sie:
Warum du Bachholder stehst du im Gerinne? Bleib mein Schneeball, fürcht' dich nicht —
Weil du gar sehr die Dürre fürchtest? Mein Mädchen überleg' es wohl -c.
Das Diminutiv und das Anknüpfungsbild, so häufig sie im Volkslied wiederkehren,
bilden doch nicht das Wesen desselben; ein Gedicht, das beides pflegt, ist darum noch kein