526
8 bis 14 Tage von Verwandten und Nachbarn abwechselnd die Wochenbettsuppe. In
Alt-Reichenberg war es Brauch, daß die Mutter nach dem ersten „Kirchengang" ihren
Säugling zu den Pathen „Tatschen" trug (nach dem Tragtnch „Tatschen" so genannt)
und damit den ersten Besuch mit dem jungen Leben machte.
Auch beim Sterben hält man treu an dem alten Brauch. Ist ein theures Menschen
leben im Verlöschen, so wird die geweihte Sterbekerze entzündet und still gebetet. Nach
dem Eintritt dev Tode» össnet man das Fenster, damit die Seele in den Himmel stiegen
könne. Die Wanduhr wird zum Stehen gebracht, der Spiegel verhängt. Die Freude ist im
Hause gestorben, die Zeit hat für die Überlebenden einstweilen stille zu stehen, bis der Todte
bestattet ist. Die alte Sitte der Todtenbretter, die in den österreichischen Alpen vorkommt,
wird auch in Deutschböhmen (Böhmerwald) bis in die neuere Zeit geübt. So lange die
Leiche im Hause ist, wird in der Regel die Todtenwache gehalten. Der Verstorbene muß
ein Gebetbuch (bei Protestanten in Nordbvhmen die Bibel) und eine Scheere mit in den
Sarg bekommen (die letzten Spuren der alterthümlichen Todtengaben). Wird der Sarg
aus der Stube getragen, so müssen die Träger, die im Egergebiete Rosmarinzweige erhalten,
dreimal absetzen, bevor sie über die Schwelle treten. Hinter ihnen werden die Stühle
gestürzt und auf den Bauernhöfen die Hansthiere im Stall voni Lager ausgetrieben, auch
die Bienenstöcke gerüttelt, damit Alles theilnehme und merke, wenn der Hausvater zum
letzten Mal Haus und Hof verläßt. Nach der Beerdigung folgt im Trauerhause oder ini
Gasthofe des Kirchendorfes der „Leichentrnnk" (auch „Leichenbrot" in den Elbegegenden).
Es wird das „Leid vertrunken", wobei es jedoch meist still und ernst hergeht und dem
Todten die „gute Nachrede" gehalten wird.
Nächst den Familienfesten sind die Hauptfeste des Natur- und des sich diesem meist
anschmiegenden Kirchenjahres besonders hervorhebenswerth, wobei althergebracht drei
Hauptgrnppen in Betracht kommen: das Weihnachts-, das Frühlings- (Oster-,
Pfingst-, Mai- und Johanni-) Fest- und der Kirmeß -Festkreis. Auf dem altgermauischen
Julfeste fußend, das zur Feier der Wintersonnenwende begangen wurde, hat sich
das bedeutsame sinnige Weihnachtsfest unter dem sittigenden Einfluß des Christenthums,
das die uralten Volksbräuche verständnißvoll in christliche Formen umzugestalten
wußte, auch in Deutschböhmen als ein Hanptsest des ganzen Natur- und Kirchen
jahrs bis heute erhalten. Es bildet besonders im Bauern- und Kleinbürgerthnm bis in
die neue Zeit zugleich auch den Beginn des neuen Wirtschaftsjahrs. Zu Weihnachten
Pflegte der Bauer seit langem in den meisten Gebieten die Vorbereitungen für das neue
Arbeits- und Fruchtjahr zu treffen, Viehstand und Geräthe zu mustern, auszuwechseln u. s. w.
Zu Weihnachten war auch in der Regel die „Ziehzeit" des Gesindes. Am zweiten Weih
nachtstag hatten die Dienstleute das neue Arbeits- und Lohnjahr anzutreten, wurden mit