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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Böhmen, 2. Abtheilung

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schon die nationale Spaltung der Bevölkerung, die Zurückdrängung des deutschen 
Elements in Prag hatten dem deutschen Theater jene große Theilnahme des Publikums 
geschmälert, welche es einst dem Unternehmer als Goldquelle erscheinen ließ. Die 
Spaltung des Theaterwesens hatte das deutsche Institut auf eine wesentlich schwächere 
Basis gestellt, aber die gesteigerten künstlerischen Anforderungen unserer vorgeschrittenen 
Zeit duldeten keine Einschränkung des künstlerischen Apparats. Nur ein Bühnenleiter mit 
starker finanzieller Kraft und künstlerischer Energie konnte in so veränderter Zeit aufrecht 
bleiben, und beides war dem emsigen, rastlos thätigen Kreidig versagt. Daher brach im 
Sommer 1885, als alle Sanirungsversuche gescheitert waren, seine Direction zusammen, 
der bisherige Leiter des Stadttheaters in Bremen, Angelo Neumann, trat mit der 
Energie eines Mannes von zielbewußtem Wollen und Können in die Bresche. Neumann 
zählt zu den bekanntesten und erprobtesten deutschen Bühnenleitern: er hat als Opernsänger 
an der Wiener Hofoper und an anderen hervorragenden Instituten gewirkt, das Leipziger 
Stadttheater mit seltenen Erfolgen geleitet und die Werke Richard Wagners durch Europa 
bis nach England, Rußland und Spanien getragen. Diese energische, umfassende Thätigkeit 
entfaltet er seit 1885 auch in Prag; die deutsche Bühne dieser Stadt wird von keiner 
zweiten an Güte und Reichhaltigkeit des Schaffens übertroffen, viele Werke von Bedeutung 
haben seither zuerst in Prag das Licht der Lampen erblickt, große Talente sind hier 
erkannt und entfaltet worden. Die Prager Oper ist auch nach Berlin gewandert und hat 
sich dort Ehre und Ruhm errungen. Das hundertjährige Don Juan-Jubiläum wurde in 
dieser Ära reger und künstlerischer Arbeit durch einen glänzenden Mozart-Cyklus 
begangen und kein literarisch oder künstlerisch bedeutsamer Moment versäumt, welcher 
Gelegenheit zur Bethätigung des Leistungsvermögens bieten konnte. Dieses Können aber 
war auf eine mächtige Probe gestellt, seit ein neues deutsches Theater in Prag empor 
gewachsen war, das dem alten Stammtheater die freiere zeitgemäße Entfaltung ermöglichen 
sollte. Bis zur Erbauung des imposanten böhmischen (cechischen) Nationaltheaters war 
das alte deutsche Landestheater im unangetasteten und ungeschmälerten Besitz der 
künstlerischen Herrschaft in Prag. Die Nebentheater, welche allmälig neben ihm entstanden 
und wieder verschwunden waren — außer den schon erwähnten waren dies das cechische 
Dilettantentheater im (nunmehrigen Redemptoristen-) Kloster zu St. Cajetan auf der 
Kleinseite, das Übungstheater zu St. Niklas auf der Altstadt, das Stöger'sche Theater 
in der Rosengasse, die Arena im Pstroß'schen Garten, endlich das Neustädter Theater — 
schlossen entweder selbst den leisesten Versuch einer Concurrenz mit dem Haupttheater aus 
oder standen mit diesem in innigster Berührung. Umso fühlbarer wurde die Schädigung des 
deutschen Landestheaters durch das in einem imposanten, mit allem Comfort der Neuzeit 
erbauten, von dem Opfermuth einer ganzen Nation getragene cechische Nationaltheater.
	        
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