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Thron beginnt sodann der Einfluß Frankreichs in den Vordergrund zu treten. Die nahen
verwandtschaftlichen Bande, die Johann mit dem französischen Königshofe verknüpften,
der stete lebendige Verkehr mit diesem sowie mit dem päpstlichen Hofe zu Avignon, die
Erziehung des Kronprinzen in Paris, zeigen die Wege, auf welchen jene französischen
Einflüsse, zu denen dann bei Karl IV. noch italienische Beziehungen hinzutraten, überhaupt
nach Böhmen kamen. Speciell auf dem Gebiete der Tonkunst kann eine hervorragende
Persönlichkeit genannt werden, die ohne Zweifel zur Verbreitung französischer Musik in
Böhmen viel beigetragen hat: der bekannte Trouveur Guillanme Machaut (1284 bis
1377), der durch volle dreißig Jahre Geheimschreiber des Königs Johann gewesen ist. Die
Reflexe, welche der Kunstgesang der Troubadoure und Minnesänger, sowie die ersten
Versuche der Vielstimmigkeit auf das einheimische Musiktreiben der Böhmen zur Zeit der
Luxemburger geworfen haben, lassen sich in nicht zahlreichen, doch zum Nachweise der
Empfänglichkeit sowohl, als auch des selbstthätigen Interesses für solche verfeinerte
musikalische Genüsse genügenden Documenten Nachweisen.
Alles, was in früheren Zeiten die Landesfürsten und die Geistlichkeit für die
kirchliche Tonkunst gethan haben, wurde durch die väterliche Sorgfalt und wahrhaft
königliche Freigebigkeit überboten, mit welcher Karl IV. sich derselben zuwandte. Die
Erhebung Prags zum Erzbisthnm, die Gründung neuer Klöster, der Neubau des Doms,
der gleichzeitige Aufschwung des Mariencultus, Alles dies bot vielfache Gelegenheit zu
einer gar glänzenden Entfaltung der gottesdienstlichen Musik. Schon 1343 stiftete Karl
am St. Veitsdom eine Sängerkapelle von 24 geistlichen „Mansionaren", die unter
Mitwirkung der »bonitantog" namentlich den täglichen Mariendienst zu versehen hatten.
Um dann auch die Pausen, welche die Gesänge der Domherren und der Mansionare noch
übrigließen, auszufüllen, gründete er 1360 einen zweiten Chor von 24 Psalteristen,
ebenfalls Klerikern, denen sich schließlich noch weitere 30 Choralisten mit einem Cantor
an der Spitze anschlossen, so daß die Gesammtzahl der speciell für den Gesang bestellten
Personen wohl an hundert betrug, die übrige singende Priesterschaft (im Ganzen nahezu
400) nicht mitgerechnet.
Eine Besonderheit des religiösen Volksgesanges in Böhmen scheint in der Zeit
Karls IV. ihren Ursprung zu haben; ihre Einführung wird geradezu dem ersten Erzbischof
Ernst von Pardubitz zugeschrieben. Es sind dies die Rorategesänge, die zu den täglichen
Frühmessen der Adventzeit zunächst lateinisch, bald aber (jedenfalls schon im XV. Jahr
hundert) böhmisch gesungen wurden und bis heute volksthümlich geblieben sind. Sie
bestehen hauptsächlich aus einer abwechselnden Reihe von Chorälen und Liedern,
deren Melodien zum Theil der Meßliturgie und den lateinischen Mariensequenzen, zum
Theil aber, namentlich bei den Liedern, dem weltlichen Volksgesange entlehnt waren.