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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Böhmen, 2. Abtheilung

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Die Kirchenmusik mußte auch nach dem dreißigjährigen Kriege und der Gegen 
reformation den bisherigen volksthümlichen Charakter möglichst wahren, vor Allem 
durfte das Volk den ihm liebgewordenen Gemeindesang nicht vermissen. Diesem wurde 
also neben der lateinischen Liturgie ein breiter Spielraum gelassen, ja die katholischen 
Liederbücher nahmen sogar die beliebtesten Melodien der Utraquisten, Brüder und 
Protestanten auf. Anderseits aber konnte sich die kirchliche Kunst nicht den großen 
musikalischen Neuerungen der Zeit entziehen und namentlich — auch im Interesse einer 
erwünschten gesteigerten Anziehungskraft der künstlerischen Darbietungen — nicht die 
Theilnahme der sich nun frisch entwickelnden Instrumentalmusik und des Bravour 
gesanges abwehren. Vor der Hand kam es freilich weder zu einer höheren künstlerischen 
Fortentwickelung dessen, was das XV. und XVI. Jahrhundert gebracht hatte, noch zu einer 
wirksamen glänzenden Pflege des Neuen. Die Figuralmusik und die Instrumentalbegleitung 
suchten dem Volke verständlich zu bleiben, bequemten sich seiner Fassungskraft an, so daß 
die Kunstmusik in Böhmen trotz zahlreicher Talente, die das Land hervorbrachte, bis 
zum Beginn des XVIII. Jahrhunderts im Ganzen kein besonders hohes Niveau aufweist. 
Einen unschätzbaren Vortheil hatten aber diese, man möchte sagen, popularisirenden Fesseln, 
welche ursprünglich religiöse Interessen der böhmischen Kirchenmusik für volle drei Jahr 
hunderte angelegt haben: Gesang und Jnstrumentenspiel gingen nun erst recht in Blut 
und Saft des schon von Haus aus musiklicbenden Volkes über, um ein unveräußerliches 
Besitzthum desselben für alle Zeit zu bilden. 
Der Prager Domprobst Johann Ignaz Dlouhovesky schildert uns, wie im 
Jnbilänmsjahre 1674 der Gesang der böhmischen Pilger in Rom bei einer von ihm 
geführten Procession allseitig Aufsehen und Interesse erregte. Gewiß konnten diese 
böhmischen Pilger und ihre Lieder nicht mit den Leistungen und dem Repertoire der 
päpstlichen Kapelle concnrriren: aber der tüchtige, jedermann zugängliche, dabei ohne 
Zweifel auch trefflich zu Gehör gebrachte Volksgesang mußte wohl als solcher imponiren, 
zumal dort, wo das Volk daran gewöhnt war, lieber kunstgeübten Sängern zuzuhören 
als selbst mitzusingen. Einen Begriff von der Art und Weise, wie damals in Böhmen 
der Kirchengesang, an dem das Volk sich betheiligte, durch schlichte Harmonisirung und 
Instrumentalbegleitung, hier und da durch bescheidene Polyphonie ausgestattet wurde, 
gibt eben das böhmische Canzionale des Vysehrader Kapellmeisters Wenzel Karl Holan 
Rovensky, welches 1694 (unter dem Doppeltitel „OnMig, ro^in. Xnplo llrälovslln 
2p6vrn n musürnini v roei n v essirein svntoväciavZlltzm«) erschienen ist und 
in dessen Vorrede Dlouhovesky jene römische Reminiscenz mittheilt. Die Verhältnisse 
besserten sich indeß zusehends. Einen interessanten Beleg sür die Bestrebungen der 
musikalischen Kreise Prags finden wir ans literarischem Gebiete. Der „Böhme, Kuttenberger
	        
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