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Volltext: Kurzwaaren, Wiener Weltausstellung Heft 19

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Gruppe X. Kurzwaaren. 
Die Bürstenfabrikation selbst trennt sich im Allgemeinen in eine 
solche von feinen und von ordinären Waaren; zu den feinen Waaren 
gehören vorzugsweise Haar-, Zahn-, Nagel- und Kleiderbürsten, zu 
deren Herstellung fast ausschliesslich weisse Borsten verwendet wer 
den, wogegen man Rosshaare und Ziegenhaare nur in geringer Qua 
lität zu weichen Stoffbürsten verarbeitet. 
Bürsten selbst waren in Wien beinahe von jedem Lande zur Aus 
stellung gebracht worden. Hie grösste Ausstellerzahl kam aus dem 
deutschen Reiche. Unter diesen verdient die Collectivausstellung 
der Schwarzwälder Bürstenfabrikanten in Todtnau (Baden), 
auch vom nationalökonomischen Standpunkte aus betrachtet, eine beson 
dere Berücksichtigung, weshalb wir einen eingehenden Bericht über die 
selbe,ihm wir hochverehrter Hand verdanken, nachstehend folgen lassen: 
Südlich von dem mächtigsten Gebirgsstocke des Schwarzwaldes 
dem Feldberge, da wo die Hänge und Vorberge sich in fast senkrech 
ten kahlen Abstürzen zum Wiesenthale herabziehen, und theilweise in 
diesem, liegt eine Anzahl von Ortschaften, denen die Natur die Bedin 
gungen für eine den Unterhalt sichernde Landwirthschaft fast gänzlich 
versagt hat. Kümmerliche Weiden nähren eine kleine Viehrace notk- 
dürftig, so dass oft noch Zweige von den höchsten Bäumen gebrochen 
und als Futter verwendet werden. Schwer zu' bewirthschaftende 
Hochwaldungen liefern Brenn- und Nutzßolz, dessen Gewinnungs 
kosten fast die Hälfte des Preises betragen, ein Verhältniss, das sich 
erst in neuerer Zeit günstiger zu gestalten beginnt. Auf der dünnen 
Vegetationsdecke massiger geneigter Berghänge wird durch Umbre 
chen des Weidefeldes zuweilen eine Fläche angebaut und etwas Frucht 
und Kartoffeln gepflanzt, kaum den Tagelohn rentirend. Diese wenig 
bevölkerten Orte mussten sich zu einer Zeit, wo Vieh- und Holz 
handel aus Mangel an Strassen und Verkehr noch kaum betrieben 
wurden, naturgemäss in einer drückenden Armuth und Uncultur be 
finden, und wir erfahren auch, dass dies in der That der Fall war, 
insbesondere, nachdem der früher betriebene Bergbau aufgehört. Dass 
diese Orte sich jetzt einer verhältnissmässigen Wohlhabenheit und gei 
stigen Regsamkeit erfreuen, verdanken sie neben geöffneten Verkehrs 
wegen zum guten Theile der Bürstenindustrie, deren Anfänge auf das 
Jahr 1760 zurückgeführt werden, um welche Zeit ein Müller, Leode- 
gar Thoma von Todtnau, zuerst durch Einziehen von Schweinsborsten in 
vorher gebohrte Holzstücke vermittelst Schnüren (Bindfaden) ein In 
strument zum Reinigen derMühlgeräthe hergestellt haben soll. Franz 
Josef Faller, dessen unten noch Erwähnung geschieht, hat den Mann 
noch gekannt und es wird nicht bezweifelt, dass er der Erste war, der 
in Todtnau Kleider- und Schuhbürsten fertigte und insbesondere auch 
Bürsten zum Reinigen der Pferde erstmals 1772 als seine Erfindung an
	            		
679 II. Mechanische Fabrikation und Handwerk. das k. k. österreichische Militär in Freiburg lieferte. Von ihm ging das Geschäft auf seinen Sohn Christian Thoma über, der schon nach auswärts mit Bürsten handelte, und in der Folge Andere zum Ver- schleiss derselben gewann. Schon 1796 dehnte sich der Todtnauer Bürstenhandel nach Frank reich aus. Um 1787 begann die Zubereitung der Bürstenhölzer einen geson derten Zweig der Fabrikation zu bilden, und dieser Arbeitstheilung verdankt dieselbe die Möglichkeit einer grösseren Production. In der Folge wurden Bohrmaschinen zum Treten eingerichtet (um 1810 bis 1820). Seit 1840 wurden die zahlreichen kleinen Wasserkräfte der Gegenstand für die Hölzerfabrikation (zuerst durch Benedict Dietsche in Geschwend) verwerthet, und mannigfache Verbesserungen der Ge- räthe eingeführt; so die Schweifsäge für geschweifte Bürsthölzer, dann die Circularsäge und seit zwei Jahren die Bandsäge. Die Bürstenfabrikation selbst führte nur wenige Maschinen ein, doch erleichterte die Bippelmaschine (von Konrad Grether um 1830 erfunden, Handarbeit) zum Ordnen der Haare und Borsten ein früher sehr,zeitraubendes Geschäft — und der sogenannte Haarwolf, eine Maschine zum Reinigen der Haare und Borsten (erstmals mit Wasserkraft eingerichtet um 1840 von Alois Laitner) die t abrikation bedeutend. An die Stelle des Einzugs der Borsten mit Schnüren, des Befesti- gens mit Holzpllöckchen und des Emkittens mit Pech trat, als der Ge brauch des Drahtes allgemeiner und billiger wurde, das Einziehen mit Draht, das jetzt noch im Gebrauche. Bis 1830 etwa wurden nur einfache und wenig elegante und geschmackvolle, dagegen meist solide Waaren hergestellt, seither hat man aber angefangen, auch feinere und ganz feine Artikel anzufertigen. Die Hölzer wurden zunächst fournirt und polirt, später auch gemalt, beschrieben und lackirt. Die Herstellung dieser feinen Bürstenhölzer ist wieder ein getrennter Zweig der Bürstenindustrie. Das Lackiren, Bemalen und Beschreiben der Hölzer, insbesondere der Kehrwischstiele, wollte nicht sogleich gelingen, obwohl ein unternehmender Mann (Karl Kaiser) sich zum Zwecke desErlernens nach Nürnberg begeben hatte. Eine Zeitlang wurden die Stiele deshalb von auswärts bezogen, bis um 1850 Donat Thoma und Joh. Nepomuk Schübnell ihre Bemühun gen in dieser Richtung mit Ei’folg gekrönt haben. Um die Industrie besonders verdient machte sich Franz Josef Faller von Todtnau, welcher einige Zeit hindurch das Faller’sche Arbeitshaus (eine Stiftung) leitete, in dem die Bürstenbinderei zum Theile mit Unterstützung grossherzogl. Regierung im Grossen betrieben wurde. Er Hess zum Zwecke der Ausdehnung des Marktes und Gewinnung ge schmackvoller Muster Reisen durch Deutschland, Oesterreich, Frank-
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