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nach zwei verschiedenen Richtungen geripptem Goldbrocate gefertigt. Rückwärts in der
Mitte der Haube ist ein Knopf angenäht. In dem Nackentheil derselben ist eine Masche
aus weißem Bande angebracht. Auch fallen zwei Bänder über den Rücken hinab. Das
Gesicht selbst rahmt ein reicher Spitzenbesatz ein, welcher sich gegen die Wangen lappenartig
erweitert; die Spitzen sind gefältelt. So war der Sonntagsstaat unserer schlesischen
Mütter noch vor einigen Jahrzehnten.
Manche charakteristische Tracht, sowie manche interessante Gestalt aus dem Volksleben
will im Alles nivellirenden Strome der Zeit, manche auch schon aus dem Gedächtniß der
gegenwärtig Lebenden verschwinden, die Werth erscheint, im Gedächtniß der späteren Zeit
fortzuleben. Sind ja doch auch die Verhältnisse des Lebens, Erwerb und Beschäftigung in
unserem Lande in fortwährender Wandlung begriffen und mancher Zweig durch die Alles
umgestaltende Dampfkraft in dem Arbeitshause und auf dem Verkehrswege im Ver
schwinden. So ist wohl kein Artikel Schlesiens in der Welt so bekannt als die vortreffliche
schlesische Leinwand. In mancher Bauernwirthschaft wird zu der Leinwand, die während
des Jahres benöthigt wird, das Garn von den Hausgenossen selbst gesponnen. Ehedem
war die Kunst des Spinnens für jedes Landmädchen eine Ehrensache und auf dem
„Brautfuder" der vermöglichen Bauerntochter prangte unter den übrigen besseren
Einrichtungsstücken zu oberst ein zierlich gearbeitetes Spinnrüdchen. Auch das Garn wurde
früher meist von der Hausfrau selbst gewoben und gebleicht. Mit diesem Industriezweige
hängt auch eine Gestalt in unserem Volksleben zusammen, der schlesische Leineweber, wie
er in der durch die Fabriksindustrie immer mehr in den Hintergrund tretenden Haus
industrie dieses Textilzweiges da und dort sich noch immer erhält. Der Betrieb dieser
Waaren wurde früher allgemein und wird auch heute noch zu einem kleinen Theile durch
den wandernden Krämer vermittelt, der aus den dicht bevölkerten Dörfern Liebenthal,
Arnoldsdorf, Petersdorf, Hennersdorf, Johannisthal re. nach auswärts ans Erwerb
auszieht. In seinem mit einem grünen, zum Schutz gegen Regen mit Ölfarbe angestrichenen
Leinwanddach überspannten Wagen, der mit Leinwand- und Baumwollwaaren bepackt
ist, durchzieht er weite Strecken Schlesiens bis nach Mähren hinunter, während sein Weib,
den „Pinkel" ans dem Rücken, die verschiedenen Verkaufsartikel in den näher gelegenen
Ortschaften von Haus zu Haus feilbietet. Nicht selten fahren Mann und Weib mit ihrem
Wagen, der ihnen zugleich als Schlafstätte dient, in die weitere Ferne, während die Kinder
bei Verwandten bleiben oder zu Fremden in Pflege gegeben werden. Seit einiger Zeit
sieht man diese Hausirerwagen seltener die Straßen des Landes dahinziehen.
Eine andere charakteristische Figur unseres Volkslebens, dem Verkehr in und außer
dem Lande dienend, hat unsere Zeit der Eisenbahnen schon hinweggefegt. Es ist der Groß-
fnhrmann, der, ehe noch die Eisenbahn das Land durchkreuzte, die Verfrachtung der