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und als Folge Nothstand der Landbevölkerung herbeiführen. Der lange, rauhe Winter
verkürzt die Arbeitszeit auf dem Felde, was für den Landwirth um so empfindlicher
ist, als die schweren, lehmig-thonigen Böden meist vierspännig gepflügt werden müssen.
Die Haltung von Gespannkraft muß daher eine größere sein, als es unter günstigeren
landwirthschaftlichen Verhältnissen der Fall wäre. Der Cnlturboden Ostschlesiens ist in
den Gebirgslagen ein Verwitterungsprodnct des Karpathensandsteins, im Hügel- und
Flachlande dort, wo er nicht der Allnvion angehört, ein Lehm, der aus dem Verwitterungs-
prodncte des Teschner Schiefers, einem grauen Leiten, entstanden ist.
Der Kleingrundbesitz umfaßt Großbauerngründe mit 30 bis 50 Joch Fläche,
„Gärtlergründe" mit 20 bis 30 Joch und Hänslergründe mit 10 bis 20 Joch. Von der
Gesammtfläche Ostschlesiens (39'5 Quadratmeilen) nimmt der Großgrundbesitz eine Fläche
von 16 9 Quadratmeilen, also circa 43 Procent ein, während 57 Procent auf Kleingrund
besitz, Straßen, Flußläuse n. s. w. entfallen.
Ostschlesien kann seiner Terrainformation nach in drei Zonen getheilt werden. An
die im Südosten gelegene Gebirgszone schließt sich gegen Nordwesten zu das Hügelland
als breiter vorgelagerter Streifen an, welcher in das Flachland übergeht. Die nordwest
lichen Grenzen des Landestheiles Ostschlesien ziehen durch die Niederungen der Oder,
Olsa und Weichsel.
Diese natürlichen Vorbedingungen führen zu verschiedenen Betriebsweisen der
Landwirthschaft; bei der Schilderung der Agricnltnrverhältnisse soll hier die vorhin
angedeutete Zonentheilnng festgehalten werden.
Obwohl der Gebirgskranz, der das Land im Süden und Osten umschließt, zumeist
bewaldet ist, wird im unteren Theile der Berglehnen, stellenweise sogar auf den Kuppen
und Rücken doch Landwirthschaft betrieben. Zwischen Wald und Acker liegen häufig weit
ausgedehnte Hutweideflüchen mit spärlichem Holzwnchs — Flächen, die zumeist nicht
Eigenthum von Einzelbesitzern sind, sondern den Gemeinden oder verschiedenen Sallasch-
genossenschaften angehören. Der „Sallasch", die schlesische Alm, meist oberhalb des
Waldgürtels liegend, producirt nur einen mageren Graswuchs, der zur Sommerweide
für Kühe, Schafe und Ziegen benützt wird. Der Sallaschhirt, der häufig selbst Viehbesitzer
ist, treibt die gemeinsame Herde, wie der Älpler, im Frühjahr zu Berg und im Herbst
wieder zu Thal.
Die eigentliche Landwirthschaft des Gebirges ist eine sehr kümmerliche; dem steinigen
Boden werden mit unsäglicher Mühe Hafer, spärliches Staudekorn und Kartoffeln abge
rungen. Die Kartoffel ist die specifische Volksnahrung, das weitaus vorwiegende Product
der ärmeren Gegenden Schlesiens. Das Gerathen oder Mißrathen der Kartoffel bedingt
das Wohl und Weh der breiten Schichten der Bevölkerung; diese Frucht bildet im Verein
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