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bauki'mstlerische Einfluß des benachbarten Italien kaum so bedeutend geworden, wenn
nicht Klima und Baumateriale hierzu eine so günstige Vorbedingung gegeben hätten. Die
tektonischen Eigenschaften des für den Monumentalbau Südtirols iu reicher Menge vor
handenen Marmors bedingten trotz der im Mittelalter zahlreichen deutschen Bevölkerung
dieses Landestheiles von jeher die Ausbildung desselben Baustils, wie er unter gleichen
Materialverhältnissen in Oberitalien entstand. Zu allen Zeiten war jedoch die nördliche
Landeshälfte durch die dort vorfindlichen Gesteinsarten, wie Sandstein, Tuff, Konglomerate
und dergleichen, sowie des reichlicheren Bauholzes wegen auf andere Constructions-
bedingnngen angewiesen, welche ungeachtet der häufigen Mitwirkung Wätscher Bauleute die
Principien deutscher Bauweise zur Geltung brachten.
Von den kirchlichen Bauten Tirols aus den ersten Jahrhunderten der christlichen
Zeitrechnung ist wenig bekannt und nur Sagen oder Legenden berichten von Umwand
lungen römischer Tempel in christliche Kirchen, wie St. Apollinaris in Pie di Castello zu
Trient, woselbst auch römische Werkstücke zum Bau verwendet wurden, S. Ermete zu
Calceranica im Val Sugana und andere. Die älteste Anlage der um 770 vom Bajuvaren-
herzog Tassilo gegründeten Stiftskirche zu Jnnichen im Pusterthäl ist heute noch in drei
Apsiden mit romanischen Rnndbogensriesen erkennbar und die einschiffige, mit Apsis
versehene Stephanskirche zu Carisol in Judicarien ist urkundlich zur Zeit Karl des Großen
erbaut worden. Nicht minder dürften die frühromanischen Spuren an der Kirche San
Vigilio bei Tione jener Bauepoche angehören. Die weitaus größte Anzahl der damaligen
Gotteshäuser, insbesondere in den nördlichen Districten des Landes, waren zweifellos
Holzbauten einfachster Art und in ihrer Constrnction übereinstimmend mit den meisten
Wohnbauten jener Gegenden.
Erst mit Ende des X. Jahrhunderts, da die Bischöfe von Säben ihre Residenz nach
Brixen verlegt hatten, beginnt in Tirol die Anlage größerer Kirchenbauten, welche zunächst
in der Entstehung des Münsters zu Brixen ihren Ausdruck fand. Von diesem Bauwerke,
das schon um 1174 zum erstenmal durch Feuer zerstört wurde, wissen wir nur, daß es
zwei Krypten hatte. Die Architektur des noch erhaltenen, mit mittelalterlichen Fresken
geschmückten Kreuzganges am heutigen Brixener Dom stammt wohl aus der Zeit zwischen
dem ersten und zweiten Brande des Münsters, nach welch letzterem dasselbe zum dritten
Mal und in: gothischen Stil erbaut wurde.
War es für die Geschicke des Landes überhaupt bedeutsam, daß Bischof Udalrich II.
von Kaiser Konrad dem Salier um 1027 mit den Grafschaften Trient, Bozen und
Vintschgau und Bischof Hartwig von Brixen mit der Grafschaft Norithal belehnt wurde,
so war diese Machtstellung der Kirchenfnrsten zugleich auch von besonderem Einfluß auf
die weitere Entwicklung der Monumentalarchitektur in Tirol.