568
letzten zwei Decennien nimmt nun auch der italienischsprachige Landestheil lebhaft am
Wettbewerbe Theil und wird dem Obstbau eine allgemeine Bedeutung beigelegt. Wenn
Tirol als daS Schmuckkästchen der österreichischen Obstproduction bezeichnet wird, so
hat dies seine Berechtigung, indem wohl kaum in einem anderen Kronland in gleich
intensiver Weise Obstbau betrieben und namentlich die Qualitätsfrage so sehr in Betracht
gezogen wird.
Die große Verschiedenheit des Gebirgslandes in Lage und Bvdengestaltung bringt
es mit sich, daß dieses Land eine seltene Mannigfaltigkeit an Früchten der verschiedensten
Art aufweist, die noch dadurch gesteigert wird, daß die einzelnen Varietäten in ganz ver
schiedenen Perioden reifen, so daß es nicht schwer fällt, neben der Orange, der Feige, der
Traube, dem Granatapfel, der Kastanie und dem Spätherbstobst auch die ganze Reihe
der in wärmeren Lagen bereits im Frühsommer reifen Früchte, die Johannisbeere, die
Kirsche, die Marille gleichzeitig hervorzubringen. Abgesehen von Orangen und Citronen,
welche vielfach in Garten, namentlich an den Ufern des Gardasees auch im Freien gezogen,
über Winter wohl durch entsprechende Schutzwände von Glas oder Brettern vor dem
immerhin kalten Winter geschützt werden müssen, finden sich nebst den Hauptobstsorten,
als Birnen, Äpfeln, Kirschen, Weichseln, Aprikosen (Marillen), Zwetschken, Pflaumen,
Pfirsichen, Mandeln, sowie Quitten, Mispeln, den Cornelkirschen, dem Beerenobst, wie
Johannis-, Stachelbeeren, Himbeeren und den Waldbeeren, den Preißel- und Brombeeren,
Heidel- und Erdbeeren, endlich der eßbaren Kastanie, den Hasel- und Wallnüssen, als
südliche Fruchtbänme die japanesische Mispel, der Olivenbaum, die Früchte der Pinie
(Pignolien, Pinicnnüsse), der Erdbeerbaum, die echte Lotuspflaume (viospxrus iotus),
die amerikanische Lotuspflaume (viospzmrm virginiuim), endlich die japanesische Lotns-
pflaume (viosxzmus Luiri) und andere.
Obgleich über die Geschichte des Tiroler Obstbaues so gut wie keine Daten nieder
gelegt sind, so steht es doch außer allem Zweifel, daß derselbe sehr alt ist.
Einen allgemeinen Aufschwung nahm der Obsthandel und damit auch die Obstpro
duction nach der Eröffnung der Schienenwege. Während früher der Transport des
Obstes nach München auf der Landstraße, zum Theil durch die typischen Karrenzieher
und Hausirer und nach Wien meist zu Wasser, in nur verhältnißmäßig kleineren Mengen
erfolgte, bemächtigten sich nun tüchtige Kaufleute in Bozen und Wien des Tiroler Obst
handels, und es steigerten sich sowohl der Absatz wie die Preise, was wiederum
eine weitere Ausdehnung des Obstbaues nach jeder Richtung zur Folge hatte. Leider
hielten die hohen Preise nicht lange an und wurde der Export nach Rußland, welches
Land einer der Hauptconsnmenten der feinen Sorten, namentlich des weißen Rosmarin
apfels war, sowohl durch die Entwerthung des Rubels als auch durch den bedeutenden Zoll
36*