166
Erfolg hotte Rudolf Hirsch mit seiner leichtflüssigen Lyrik im „Irrgarten der Liebe".
Von südlicher Glut erfüllt sind die „deutschen Lieder eines Italieners", Cajetan Cerri.
Einen neuen und kräftigen Ton schlugen erst Hermann Rollett und Johannes Nordmann
an. Die spätere Zeit hat Lyriker von selbständiger Bedeutung und eigenthümlichem Gepräge
unter den Männern wenige mehr hervorgebracht: fast jeder namhafte Dichter der Zeit
hat auch lyrische Gedichte veröffentlicht, welche zum Theile hohen poetischen und großen
individuellen Werth besitzen, aber die Dichter, welche sich blos auf lyrischem Gebiete
versucht haben, sind selten. Auch die Entwicklung der lyrischen Formen stand nicht im
Vordergründe der poetischen Interessen: Carlopago strebte, nicht immer mit Glück, nach
dem hohen Stil und den künstlichen Formen der Hölderlin'scheu Lyrik; viel besser ist es
neuerdings Stefan Milow gelungen, die erhabenen Gattungen der Lyrik wieder zu Ehren
zu bringen. Während es aber die Männer größtenteils verschmähten, sich auf die Lyrik
einzuschränken, war diese das eigentliche Lieblingsgebiet der Frauen. Besonders die adeligen
Damen sind hier zahlreich vertreten: Wilhelmine Gräfin Wickenburg-Almasy, Marie von
Najmajer, Josefine von Knorr, Luise von Rechenberg, Josefine von Remekhazy und viele
Andere. Unter den bürgerlichen Damen stellen die Professorensrauen das bedeutendste
Contiugent: Eugenie Bolza, Bertha Arndts, Marie Arndts, Auguste Hyrtl. Die Namen
Paoli und Christen seien an die Spitze gestellt: Betty Paoli steht durchaus innerhalb
der Grenzen ihres Geschlechtes, sie hat die weiblichste aller Empfindungen, den Schmerz
um betrogene Liebe, in so tiefempfundene und dabei formvollendete Verse gebracht, wie
sie noch selten oder nie einer Frau gelungen sind; Ada Christen kehrt die interessante
Seite der weiblichen Natur heraus, welche im Conflicte mit den der Frau in der Gesellschaft
gezogenen Grenzen zu Tage tritt, sie erscheint in ihren Liedern als die Verlorene und
zeichnet sich durch eine kräftigere Phantasie und männliche Gestaltungsgabe aus.
In den Balladen- und Romanzencyclen, welche seit Grün in ununterbrochener
Folge bis auf unsere Tage entstanden, berührte sich die Lyrik mit dem Epos, welches als
selbständige Gattung gleichfalls nicht im Vordergründe stand. Doch haben sich Otto
Prechtler, Alexander Patuzzi, Hieronymus Laudesmann, Josef Haupt, Julius von der
Traun und Andere mehr oder weniger erfolgreich an dieser Gattung betheiligt. In der
Idylle hat uns Friedrich Hebbel eine klassische Dichtung geschenkt. Ein Talent der
jüngsten Zeit, Siegfried Lipiner, hat an bedeutenden Stoffen starke schöpferische, aber
wenig gestaltende Phantasie bewiesen.
Den bedeutendsten Fortschritt hat die niederösterreichische Dichtung in der jüngsten
Zeit auf dem Gebiete der prosaischen Dichtungsgattungen gemacht. Unsere Roman- und
Novellenschriftsteller gehören zum größten Theile auch außerhalb ihres Vaterlandes zu den
Lieblingen des Publikums und haben sich in den verschiedensten Gattungen bewährt. Auch