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anknüpfend, Haupt- und Staatsactionen aufführte, das Stegreifspiel pflegte und den andern
großen Weltdichter, der zugleich Schauspieler gewesen, Moliere, auf die deutsche Bühne
verpflanzte. Es war ein seine Zukunft bestimmendes Ereigniß für Stranitzky, daß er diesen
wohlgeordneten Theaterstaat mit seinen poetischen Bestrebungen Praktisch kennen lernte.
Das zweite Ereiguiß, das ihn erfinderisch machte, war eine Reise durch Italien, wo er mit
dem einheimischen improvisirenden Maskenspiel, das seinen Übermuts), seine nie versiegende
Heiterkeit aus der Laune des Moments schöpfte, gründlich vertraut wurde. Zahlreiche
Entwürfe italienischer Burlesken soll er nach Deutschland mitgebracht haben. Nun wunderte
Stranitzky mit kleinen Schauspielerbanden durch kleinere Städte. So taucht er, wie ver
sichert wird, in Salzburg auf, in dessen Tracht und Mundart er nachmals seine lustige
Person kleidete. Diese Nachrichten, die Nikolai aus dem Munde eines Schauspielers
gesammelt, entbehren indeß allesammt der historischen Begründung. Es war bis jetzt weder
festznstellen, wo Stranitzky geboren und erzogen ist, noch weiß man, wie er unter die
Comödianten gerathen. Seine italienische Reise hat er am Ende nur in italienischen
Theaterbüchern gemacht, Salzburg scheint er nie berührt zu haben, und der Salzburger
mit dem grünen Hut ist wohl schon vor Stranitzky eine komische Volksfigur gewesen. Nach
seinem angeblichen Aufenthalte in Salzburg spielt er unter großein Zulauf und Beifall in
der hölzernen Comödienhütte auf dem neuen Markte zu Wien. Einige Jahre darauf bezieht
er mit seiner Truppe das von der Stadt gebaute Theater nächst dem Kärntnerthore. Das
war im Jahre 1712, und dieses Jahr macht Epoche in der Theatergeschichte Wiens.
Stranitzky brachte den rollenden Thespiskarren endlich znm Stehen: die erste ständige
Bühne Wiens war seine Schöpfung. In dem neuen Hanse spielte er abwechselnd mit den
Italienern, denn die italienische Tradition knüpft schon an das Jahr 1568 an, wo Kaiser
Max II. eine italienische Truppe hielt, und ihr Faden ist in Wien, wenigstens in der Oper,
nie abgerissen. Stranitzky selbst steht den Italienern nicht fremd gegenüber; er gibt
Burlesken wie sie, er improvisirt wie sie, und die neue komische Figur, die er in Schwung
gebracht und meisterhaft darstellt, geht von den Italienern aus. Sie ist im Grunde die
Rückbildung des italienischen Arlechino znm uralten deutschen Hanswurst, nur daß dieser
Hanswurst mit der vollen Frechheit der Gegenwart, mit allen Ansprüchen der brutalsten
Wirklichkeit auftritt. Stranitzky hat seinen Hanswurst in die Bauerntracht des Salz
burgerlandes gesteckt und ihm die Pritsche des Harlekins in die Hand gegeben; der grüne
Hut ist ihm so eigen, daß der ganze Kerl nach ihm benannt wird. Hanswurst ist ein
Fresser, ein Säufer, ein Unflüther; hinter seiner derben Biederkeit, seinen dummdreisten
Mienen lauert die echte Bauernschlauheit, die zur Erreichung irdischer Vortheile mit den
zweckmäßigsten Fangorganen versehen ist. Frei von jedem idealen Motiv, kann ihm die
Geisterwelt mit ihren tragischen Verwicklungen nichts anhaben. Er geht sicher wie
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