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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, 1. Abtheilung: Wien

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der große Aufschwung in der jüngsten Zeit doch in die Augen springend. Die Fabriken in 
Wien und Umgebung haben aber nicht nur der Zahl nach außerordentlich zugenommen, 
auch ihr Umfang hat sich im Durchschnitt bedeutend vergrößert. In den oben erwähnten 
industriellen Großbetrieben ist eine Arniee von 70.000 Arbeitern thätig, die mit ihrem 
Train von Familienangehörigen leicht eine Bevölkerung von 200.000 Menschen und 
darüber ausmacht, also den fünften Theil der Einwohnerschaft erreicht, wobei die im 
Gefolge der Fabrik stehenden Gewerbetreibenden noch gar nicht gerechnet sind. 
Während so die Großindustrie die Großstadt hervorruft, wirkt diese wieder befruchtend 
auf elftere zurück. Ein Ort wie Wien vereinigt alle Hilfsmittel der Production; er bietet 
der Industrie eine zahlreiche und geschickte Arbeiterschaft, erleichtert ihr den Verkehr mit 
den Bezugs- und Absatzgebieten durch ein System von Eisenbahnen und Landstraßen und 
durch die große Wasserstraße der Donau, ermöglicht ihr billigen und schnellen Credit bei 
den großen Banken und bildet in Allem einen Mittelpunkt des Waarenmarktes. So schießt 
eine Fabrik an die andere an und jede steigert noch die Vortheile der Centralisation. Aber 
auch eine rückläufige Bewegung macht sich bemerkbar. 
Von einem gewissen Zeitpunkte an erscheint es vortheilhafter, sich ans dem Lande 
niederzulassen, wo der Arbeitslohn gewöhnlich niedriger steht, der Boden wohlfeil ist, 
häufig die Kraft des fließenden Wassers benützt werden kann und wo man die meisten 
Hilfsstoffe billiger bezieht. So mußte es kommen, daß viele Fabriken die Stadt verließen 
und aufs Land verlegt wurden, oft in entfernte Provinzen, wo die Lebens- und Productions- 
bedingungen gerade vortheilhafter sind. Wien hat beispielsweise die nahezu vollständige 
Auswanderung einzelner Zweige der Textilindustrie gesehen, die auf das flache Land von 
Niederösterreich, mit Vorliebe aber nach Böhmen, Mähren und Schlesien zogen; in der 
Stadt verblieb nur die kaufmännische Leitung. Anderseits wird es immer mehr üblich, daß 
die größeren Fabrikfirmen nicht nur unseres Kronlandes, sondern von ganz Österreich und 
selbst von Ungarn in Wien Comptoirs und Niederlagen errichten, weil sie hier die wechselnden 
Conjuncturen des Marktes besser übersehen und mit den Käufern leichter verkehren können; 
auf diese Weise wird Wien zum Centralmarkt der Monarchie geschaffen und gewinnt 
erneute Anziehungskraft für die Begründung von Fabriken. 
Die centralisirende Tendenz, die unser wirthschaftliches Leben beherrscht und in der 
Großindustrie besonders mächtig ist, macht sich auch darin geltend, daß Unternehmungen 
gleicher oder verwandter Art sich am liebsten räumlich zusammenfinden, dadurch oft einer 
ganzen Gegend ihren Charakter aufdrücken und eine Fabrikbevölkerung mit geradezu 
traditioneller ererbter Arbeitsgeschicklichkeit bestimmter Art schaffen. Je höher ein Land 
auf der industriellen Stufenleiter steht, desto entwickelter ist auch die räumliche Gliederung 
seiner Industrie. Auch bei uns ist die Zusammenballung verwandter Industriebetriebe
	        
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