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in Lithauen jene von Wotyn und von Kiew, in Polen theilweise jene von West-Mazovien,
wobei ihm das Aussterbcn der einzelnen Zweige der betreffenden Fürstengeschlechter
zustatten kam.
Das auf dem Principe der territorialen Autonomie aufgebante und dessenungeachtet
so gewaltige Reich verfehlte nicht, nach außen hin eine große Anziehungskraft zu üben,
vvr allem auf die deutschen Städte und auf die deutsche landsässige Ritterschaft im
Ordensstaate. Die den einzelnen Stünden und Territorien in Polen gewährleistete Freiheit
bildete für jene ein Ideal im Vergleiche mit den Leistungen und Einschränkungen, welche
ihnen der herrschende Orden auferlcgte. Auch waren sie sich dessen bewußt, daß die
Vereinigung mit Polen ihrem Handel und ihrem Gewerbe ein immenses Hinterland
und ein wirthschaftliches Absatzgebiet eröffnen werde. Sie schlossen daher den sogenannten
„Eidechsenbnnd", traten mit Klagen gegen den Orden vor dem Apostolischen Stuhle auf,
und als ihnen keine Genugthnnng zutheil wurde, unterwarfen sie sich (1454) freiwillig
dem Könige von Polen. Kazimir nahm ihre Huldigung entgegen, die Jncorporationsurkunde
rief aber einen langwierigen Krieg mit dem Orden hervor. Der Krieg dauerte dreizehn
Jahre, und da das polnische Massenaufgebot sich zur Erstürmung der Ordensburgen
unzulänglich erwies, der Orden dagegen seine eigenen Unterthanen gegen sich hatte, so
wurde beiderseits zumeist mit Söldnertruppen gekämpft. So führte die Entscheidung
eigentlich das Geld herbei. Die Hilfsquellen des deutschen Ordens versiegten früher;
als der Sold ausblieb, kündigte das vom Orden größtentheils in Böhmen »»geworbene
Söldnerheer den Gehorsam. Sein Anführer Ulrich Czerwonka übergab die wichtigsten
Ordensburgen, darunter Marienburg, dem Polenkönige, der den aushaftenden Sold zu
bezahlen im Stande war. Doch der Orden behauptete noch einige Burgen, vor allem
Königsberg; erst nach einer schrecklichen Verwüstung des ganzen Landes wurde im
Jahre 1466 der Friede zu Thvrn geschlossen. Westpreußen fiel an Polen zurück. Ein
Theil von Ostpreußen, die Diöcese des Bischofs von Ermeland, wurde als besonderes
geistliches Fürstenthum der Polnischen Oberhoheit unterworfen. Den Rest von Ostpreußen
behielt der deutsche Orden, aber nur als Lehen der polnischen Krone. Polen erstreckte sich
nun bis an das Meer, alle Hindernisse des Handels waren beseitigt und ans dem großen
Handclswege, welchen die Weichsel bildet, strömten jetzt alle Prodnete Polens, Getreide,
Holz, Honig, Wachs u. s. w., nach Danzig, nur auf dem Seewege in das ferne Ausland
zu gelangen. Die Folgen des Thorner Friedens waren daher für die wirthschaftliche
Entwicklung Polens von der größten Tragweite und sein Ackerbau nahm einen ungeahnten
Aufschwung, seitdem es ihm möglich geworden war, für die Ausfuhr zu produciren.
Die Anziehungskraft des polnischen Reiches machte sich aber auch im Westen und
Süden geltend. Das durch langjährige Husitenkämpfe geschwächte und zerrüttete Böhmen