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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Galizien

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namentlich der polnischen, fügen, sowie eine nicht geringere Anzahl von Sagen, welche 
sich auf mythische oder historische Gestalten und Orte beziehen und man wird wenigstens 
annäherungsweise einen Begriff bekommen von der Phantasie dieses Volkes und ihren 
Schöpfungen. 
Einige dieser Schütze mögen wohl aus dem grauen Alterthnme herstammen, andere 
sind uns unzweifelhaft von fremden Völkern zugekvmmen, das Übrige jedoch ist heimatlich 
Erworbenes. All' dieses Zusammengetragene oder Hergcflogene hat jedoch Polnischen 
Charakter und polnische Gestalt angenommen und es ist meist unmöglich, es von den 
Heimatssagen zu unterscheiden. Frommer Geist, moralische Gesundheit und Humor, 
spinnt sich wie ein goldener Faden durch alle polnischen Mythen, Märchen und Sagen. 
Wenn man die polnischen Mythen, Märchen und Sagen auf die Quellen hin 
erforscht, aus denen sie geflossen, so wird man sehen, daß es vor allem die Natur mit 
ihren Erscheinungen ist, welche dem Volke einen großen Vorrath an Motiven zu ihrer 
Darstellung geliefert hat. Woher dies und jenes entstanden, warum dieses und nicht ein 
anderes vorhanden, weshalb dieses oder jenes geschieht, während es dem Menschen doch 
scheint, daß es sich anders ereignen sollte, das sind die Fragen, deren Beantwortung die 
Phantasie in der Form von Sagen zu finden gesucht hat. Wenn man in der Ferne 
Störche sieht, welche auf einer Wiese einherstapfen, so scheint es, als seien es mähende, 
zu dieser Arbeit bis auf die Weste ausgekleidete polnische Bauern. Außerdem hält sich 
dieser Vogel immer in der Nähe der Bauernwirthschaften und nährt sich seltsamer Weise 
von Fröschen und anderem häßlichen Gethier. Was hat das zu bedeuten? Dieses: 
Als Gott der Herr die Welt erschuf und alle Thiere darin, da bemerkte er, daß da 
zuviel Gethier und Geziefer sich vermehrt habe, welches den Menschen belästigen kann. 
Da er nun den Menschen diese Plagen erleichtern wollte, befahl er den Fröschen, in 
einen allsgebreiteten Sack zu kriechen, ebenso den Eidechsen, den Vipern und allerlei 
anderem Gethier und Gewürm. Es kroch eine schwere Menge hinein und der Sack wurde 
geschlossen. Als dies geschehen war, rief Gott einen Bauer heran und sprach: „Da, 
nimm ihn auf den Rücken, trag' ihn zum Wasser und wirf ihn hinein. Nur binde mir 
den Sack ja nicht auf, merke dir's!" Der Bauer nimmt den Sack und trägt ihn fort, 
dennoch aber läßt ihm die Neugierde keine Ruhe. „Was kann da wohl drinnen sein?" 
denkt er bei sich. „Ich muß doch schauen." Er sah sich ein-, zweimal um, nein, der 
liebe Herrgott ist nirgends zu sehen. Er versteckt sich hinter ein Gebüsch und bindet 
den Sack ans. Da aber: myk, myk, fru, frn, frn! — alles war gleich fort. Der Bauer 
blieb ganz verdutzt stehen und in diesem Augenblick hat ihn der Herrgott in einen Storch 
verwandelt, welcher jetzt bis an's Ende der Welt alles Gewürm und Gethier und Ungeziefer 
auflesen muß.
	        
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