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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Galizien

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heftig schluchzend, immer fort: „Ach heiligste Jungfrau! erbarme dich, erbarme dich 
meiner! Ich werde dafür den Kinderchen Streiche geben, so oft sie die Leiden und Lehren 
deines einzigen Söhnchens vergessen." Die heilige Gottesmutter erbarmte sich ihrer, da 
gingen die Soldaten an ihr vorüber. Hinter der Birke stand der Hagedorn, von Dornen 
starrend, hvsfärtig und frech in seiner Jugendfülle. „Was soll ich denn fürchten?" sagte er 
bei sich, „wozu könnten sie mich denn gebrauchen?" „Seht einmal!" rief in diesem Augen 
blick einer der Kriegsleute, „was für ein prächtiger Strauch zu einer Krone!" Da hieben sie 
den Strauch ab, flochten eine Krone aus seinen Dornen und aus seinem Holze machten sie 
das Heft einer Geißel, womit sie den Leib des Weltheilands schlagen sollten. Daher kommt 
es, daß in der Nacht vom Gründonnerstag auf den Charfreitag, wenn alle Bäume des 
Waldes ihren Schmerz in dumpfem Rauschen bezeugen, der Hagedorn allein mit mensch 
licher Stimme wehklagt und weint. 
Viele Leute denken darüber nach, wie man die Armut aus der Welt schaffen 
könnte; allein daraus wird nichts, denn die Armut ist ewig. Das geschah aber so. Als 
der heilige Petrus noch auf Erden ging und zur Bekräftigung der Lehre des Heilands 
Wunder wirkte, da traf es sich einmal, daß ihn die Nacht überraschte und er um ein 
Nachtlager bitten mußte. Zu diesem Zwecke trat er bei einem armen Häusler ein, der 
„Armut" hieß. Armut, der schon viel vom heiligen Petrus reden gehört hatte, wurde 
verlegen. „Womit kann ich Euch denn hier bewirthen, werther Herr?" sagte er, „ich besitze 
nur diese elende Lehmhütte mit faulem Streulager und meine Nahrung besteht in Schwarz- 
brod und Wasser." — „Das ist hinreichend, Du mein Braver, wenn Du mich nur über 
Nacht behalten willst, so bin ich's wohl zufrieden." — „Wenn dem so ist", sagt Armut, 
„so will ich Euch sehr gerne aufnehmen, denn Ihr könnt in der finstern Nacht unmöglich 
weiter gehen." Am anderen Morgen rüstet sich der heilige Petrus zur Reise und sagt beim 
Scheiden: „Gott lohne Dir Deine Gastfreundschaft, Du guter Mensch; Gold und Silber 
habe ich nicht, aber stelle irgend eine Bitte an mich und sie wird um Deines guten Herzens 
willen erfüllt werden." — „Wenn ich um etwas bitten soll", antwortet Armut, „so ist's 
eine einzige Sache. Hier vor meinem Hause steht der Birnbaum, den Ihr seht, der mir 
alljährlich wohlschmeckende Früchte trägt; das ist mein einziger Leckerbissen und meine 
ganze Freude bei meiner schweren Arbeit; was nützt es aber, wenn immer irgend Jemand, 
sei's bei Tage oder bei Nacht, die Früchte davon abreißt. Wenn Ihr es doch so machen 
könntet, daß, sobald Jemand ans den Baum steigt, er nicht herunterkönne, ehe ich ihn 
befreie." — „Es geschehe nach Deinem Wunsche", antwortete der heilige Petrus und ging 
seiner Wege weiter. In der folgenden Nacht erwacht Armut plötzlich, da Jemand vor dem 
Hause schrecklich schreit und wehklagt. Armut eilt hinaus und erblickt einen Missethäter, 
der auf seinem Birnbaum sitzt und auf keine Weise herunter kann: irgend eine unsichtbare
	        
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