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Seite sie einen Hund bellen hören, da von dieser Seite der Bräutigam kommen wird.
Man belauscht auch gerne das Stallvieh, welches an diesem Abend die Fähigkeit haben
soll, mit menschlicher Stimme zu reden. Der äiä oder Ziäüall bleibt in der Wohnstube bis
zum Neujahr, die Garbe dagegen bis zur Taufe Christi. Das Heu vom Weihnachtstisch
gibt man dem Stallvieh oder macht daraus Nester für das Hausgeflügel, das Weihnachts
stroh bindet inan um die Obstbäume, wodurch die Fruchtbarkeit gefördert wird. Nach Tisch
tragen die Kinder Weihnachtsgeschenke (kolnää), welche aus verschiedenem Weihnachts-
gebück und Weihnachtsgerichten bestehen, zum Pfarrer, zu den Taufpathen und zur
Wehmutter, und werden dafür belohnt.
Vom 25. Dezember alten Stils angefangen gehen Kinder sowohl, als auch Ältere
gruppenweise im Dorfe herum und singen Weihnachtslieder (kolaäüjuy vor den Fenstern
des Pfarrers und anderer Dorfbewohner. Es werden in der Regel insbesondere dem
Pfarrer Weihnachtslieder (kolnllü Plural Lölach) christlichen Inhaltes vorgesungen.
Allein viele davon enthalten einen tiefen mythischen Sinn, obwohl die Namen der heidnischen
Gottheiten zumeist durch die Namen Christi, der Mutter Gottes, des heiligen Petrus
u. A. substituirt wurden. Blanche Weihnachtslieder hinwieder tragen das Kolorit der
Fürstenperiode der ruthenischen Geschichte und die mythische Unterlage ist hier durch eine
historische ersetzt.
Wir wollen des Beispiels wegen ein durchaus heidnisches kosmogonischcs Weihnachts
lied ansühren, welches in wortgetreuer Übersetzung lautet:
Als noch die Welt nicht da gewesen,
Fehlte der Himmel, fehlte die Erde;
Das Meer, das blaue, war nur vorhanden,
Mitten im Meere die grüne Esche.
DrerTauben saßen auf dieser Esche,
Die Weltenschöpsnng wurde berathen:
„Geh'n wir behende zum Meeresgründe,
Den Sand, den feinen, wollen wir holen,
Zur schwarzen Erde wird Sand, der feine.
Goldene Steine hierauf wir holen,
Die goldenen Steine wollen wir säen.
Zum Hellen Himmel werden die Steine,
Zur lichten Sonne, zum Mond dem weißen,
Zur Morgenröthe, unzähl'gen Sternen." (Sz.)
Die Dorfburschen pflegen die Weihnachtslieder vorzusingen, indem sie dabei mit der
„Ziege" herumgehen. Gewöhnlich sind es zwei Burschen, von denen der eine als Ziege,
der andere als Greis verkleidet ist. Dabei treiben sie verschiedene Spässe und bitten zuletzt
um eine Entlohnung. Von dieser Ziege heißt es in den Weihnachtsliedern, daß dieselbe
„goldene Hufe hat und wohin sie nur tritt, dort gedeiht Korn, wohin sie nicht hingeht, dort
lagert sich das Getreide". Die Ziege sagt, daß „sie die Jäger nicht fürchtet, nur den Greis
mit dem Granbart". Der Greis (äicl) ist der Winter- oder Frostgott, der Feind der Sonne
und aller Lichtgewalten. An manchen Orten, besonders in Städten gehen die Weihnachts
sänger (lrolnänzck/) mit einem mond- oder sternförmigen Transparent (t>vmäü) herum.