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Heim und ein neues Wirkungsfeld fanden. Die polnische Sage von einem deutschen Ritter
Walther (Walgierz Wdaty, Walther der Tüchtige), der ans der Burg in Tyniec (in der
Nähe von Krakau) seinen Wohnsitz aufschlng, ist ein interessantes Nachspiel der deutschen
Sage von Walther von Aquitanien (IValtlrurius manu kortis), der vom Rhein nach
Osten geflohen war.
Die ersten deutschen Einwanderer kamen als Geistliche, als Krieger, als Handwerker
und Kaufleute; sie kamen freiwillig oder gezwungen, als Kriegsgefangene oder Flüchtlinge
und brachten mit sich den Samen einer höheren Cultur, die hier und da vereinzelt Wurzeln
schlug und allmälig dem Boden entsproßte. Die Verhältnisse der ersten polnischen Herzoge
und Könige zu dem deutschen Reiche, ob sie nun freundlich oder zu Zeiten feindlich waren,
mußten die Einwanderung der Deutschen in immer wachsendem Maße fördern. In dem neu
errichteten, sich stetig ausdehnenden Staatsorganismus gab es so viele culturelle Aufgaben
zu lösen, waren so viele erfahrene Köpfe und geübte Hände nöthig, daß jedem tüchtigen
Mann eine gastliche Aufnahme bereitet wurde. Die Nachbarschaft brachte es mit sich, daß
unter diesen willkommenen Helfern die Deutschen in bedeutender Zahl vertreten waren.
So drang nach und nach mit dem ganzen großen Strome der abendländischen
Cultur doch vornehmlich die des nächsten Nachbarreiches in Polen ein; sie beeinflußte die
Einrichtungen des monarchischen Staates, sie war ein Vorbild für die Gestaltung der
socialen Verhältnisse, bis endlich ein großes Ereigniß, eine durch schreckliche Niederlagen
und Verwüstungen hervorgebrachte klaffende Lücke dem deutschen Element die Grenzen
Polens angelweit eröffnete. Die furchtbaren Tatarenzüge, die über ganz Osteuropa
Verderben und Vernichtung brachten, ergossen sich im Jahre 1241 über den nördlichen
Abhang der Karpathen, brachen die Kraft des polnischen Ritterthums in mehreren
Schlachten, verbrannten die Städte, verwüsteten die Dörfer und drangen bis ins Oder
gebiet vor. Umsonst stellte sich ihnen der edle Heinrich II. von Breslau bei Lieguitz
entgegen, er fiel mit seinen Getreuen und die furchtbare Horde zog weiter, bis sie an den
Mauern von Olmütz zerschellte.
Schon nach diesem ersten Tatarenzuge lag der südliche Theil Polens in Schutt
und Trümmern, verödet und verwüstet da. Kleinpolen büßte seine leitende Stellung unter
den Theilfürstenthümern ein. Sollte das Land wieder aufblühen, so mußte Ersatz geschaffen
und fremde Hände und fremder Fleiß zu Hilfe gerufen werden. Zu diesem Mittel haben
auch die Fürsten der verödeten Länder gegriffen und so hat der große Tatarenzug vom
Jahre 1241 die große Colonisatiou veranlaßt, welche dem Lande für Jahrhunderte ihr
Gepräge aufdrückte und eine culturhistorische Aufgabe übernahm, die — wenn auch durch
spätere wiederholte Einfälle der Tataren und anderer Feinde, durch innere Wirren und
Kämpfe gehemmt und aufgeschoben — doch die Grundlage der späteren Blüte wurde.