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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Galizien

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Kritik überhaupt je geleistet hat. Die damaligen Zustände bewirkten übrigens, daß die 
IViuäomosei nicht nur von der russischen Regierung, sondern auch in Österreich verboten 
wurden. Daher konnten sie nicht den heilsamen Einfluß ausüben, dessen sie fähig waren, 
und bei fast gänzlichem Mangel an Abonnenten auf die Dauer nicht existiren. 
Das Jahr 1863 eröffnet die neueste, noch nicht abgeschlossene Periode der polnischen 
Literatur. Die politischen Folgen jener Ereignisse waren so tiefgreifend, daß die moralischen 
und intellectuellen nicht ausbleiben konnten. Es läßt sich demnach jenes Jahr als ein 
Wendepunkt in der Literatur, wie in dem gesammten geschichtlichen Zustande der Nation 
ansehcn. Vor Allem ist die Thatsache zu beachten, daß infolge der Censurmaßregeln 
die Literatur, infolge des veränderten Schulwesens die allgemeine Bildung unter der 
russischen Regierung sinken mußte. Die erstere fügte sich so gut sie eben konnte den neuen 
Bedingungen, und muß eine außerordentliche Lebenskraft besessen haben, wenn sie trotzdem 
Werthvolles zu leisten im Stande war, und zwar nicht nur auf dem Gebiete der Belletristik, 
sondern auch ans dem der ernsten Wissenschaft. Die allgemeine Bildung aber schien wie 
geflissentlich zum Absterben verdammt: durch den Zwang einer fremden Unterrichtssprache, 
durch die Beschränkung der Schülerzahl, die in öffentliche Anstalten ausgenommen werden 
durften, endlich durch die Unmöglichkeit, Werke zu lesen, die von der Censur als unzulässig 
bezeichnet wurden. Unter diesen Umständen mußte selbstverständlich Galizien für die 
polnische Cultur und Literatur eine Bedeutung gewinnen, die es vorher nicht gehabt, zumal 
die inneren Zustände der Monarchie seit 1861 die allgemeinen, seit 1865 auch die nationalen 
Freiheiten dieses Kronlandes sicherstellten. Als die polnische Sprache als Lehrsprache aus 
allen Stufen der öffentlichen Erziehung eingeführt wurde, als dann die Anzahl der Vvlks- 
und Mittelschulen und die der Lehrkanzeln an den Universitäten beträchtlich vermehrt 
wurde, als endlich der wissenschaftlichen Forschung Polnischer Gelehrter die hochherzigste 
Fürsorge zu Theil wurde, mußte das wissenschaftliche und literarische Leben dieses Landes 
den mächtigsten Aufschwung nehmen. Seine Majestät Kaiser Franz Joseph wird einst in 
der Geschichte der polnischen Cultur — wenn eine solche je geschrieben werden sollte — 
als einer der größten Förderer derselben in einem Augenblick, wo sie mit der äußersten 
Gefahr allmäligeu Sinkens bedroht war, gepriesen werden. 
Dieser, so zu sagen, geographischen Veränderung, entsprach jene, welche in dem 
Bewußtsein der Nation vor sich ging. Alles, was seit dem Jahre 1795 als Mittel oder 
Weg zur Lösung der polnischen Frage gegolten, hatte sich als Täuschung erwiesen. Der 
Wille aber, und die Pflicht, zu leben, sich zu wehren und zu erhalten, waren geblieben. 
Wie sollte aber dieser Wille zur That reifen? Vor Allem galt es, sich in der neu geschaffenen 
Lage zu orientiren, um zu erkennen, was eben noch nicht verloren war. Daran knüpfte 
sich die Frage, was zu geschehen habe, um sich vor neuen Verlusten zu schützen, und die
	        
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