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Oberlehensherrlichkeit sich unterworfen und nach einem kurzen Zeitraum schon die
staatliche Individualität ganz und gar eingebüßt hätten. Das Kreuz und das Schwert
machten auch hier gemeinsame Sache und führte diese Solidarität schließlich, und in
diesem Falle ohne langwierige Kampfe zur Unterwerfung. Die Möglichkeit einer näheren
Verbindung mit der christlichen Culturwelt und ihren Idealen, die Aussicht auf höhere
Gesittung und Bildung und was dergleichen mehr ist, Alles ward theuer genug erkauft,
umsomehr, als die Resultate den gehegten Hoffnungen auch nicht annähernd entsprachen.
Der Grund lag zum großen Theile wohl in der Natur des Bekehrungswerkes selbst,
indem dasselbe, indirect wenigstens, durch ein fremdes Verkehrsmedium in Ausführung
gebracht, schon an und für sich keine großen und dauernden Erfolge versprach, dann aber
auch dadurch eine Schädigung erfuhr, daß die Glaubensboten, entgegen der eindringlichen
Mahnung des erleuchteten und humanen Alcuin an den Salzburger Erzbischof Arno, als
bald mehr als Eintreiber der Zehnten denn als Verkünder der Christuslehre sich hervor-
thaten. Da die Katechumenen überdies merkten, daß ihre politische Freiheit auf dem Spiele
stehe und ihr Volksthum gefährdet erscheine, machte sich wiederholt eine Reaction gegen
den neuen Glauben und dessen Verkünder geltend und bedurfte es aller Energie seitens
einheimischer Herzoge, sowie äußerer Machtelemente, um das Christenthum zu festigen und
ihm schließlich dauernde Geltung zu verschaffen. Bei diesem Stande der Dinge ist an ein
reges Pulsiren des Geisteslebens und eine kräftige Äußerung desselben in Denkmalen der
Literatur nicht zu denken. In der That spähen wir nach solchen vergeblich aus und sind
es lediglich die Freisinger Denkmäler, die aus der trostlosen geistigen Öde mehrerer
Jahrhunderte wohlthuend sich abheben, obgleich deren Werthschätzung weniger in rein
literargeschichtlicher als vielmehr und insbesondere in sprachlicher Beziehung zu suchen,
aber hierin auch in reichem Maße begründet ist. Dieselben wurden im Kloster des heiligen
Corbinian zu Freising aufgefunden (daher die Bezeichnung Freisinger Denkmäler) und
sind gegenwärtig den Handschriften der königlichen Bibliothek in München einverleibt. In
Lateinschrift ausgezeichnet, umfassen sie eine Homilie und zwei Formeln der allgemeinen
oder offenen Beichte (eorü'essio Aousralis), welche die Christgläubigen dem Priester nach
zusprechen hatten. Das Alter dieser inhaltlich theils homiletischen, theils katechetischen
Aufsätze anlangend, müssen dieselben aus paläographischen Gründen sicherlich dem X.,
wo nicht schon dem IX. Jahrhundert vindicirt werden und sind sonach an die Spitze
aller bislang bekannt gewordenen slavischen Literaturdenkmäler zu stellen. Dieser und
der weitere Umstand, daß sie das alleinige relativ sehr alte schriftliche Denkmal des
karantanischen oder norischen Slovenisch repräsentiren, verleihen den Freisinger
Denkmälern einen nicht hoch genug anznschlagenden Werth. Man merkt es aber ihrem
dürftigen Inhalte nicht an, daß in Kärnten speciell um die Mitte des XIII. Jahrhunderts