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Trümmcrgestein spärlicher Graswuchs hervor, und diesem nach zieht während des kurzen
wasserlosen Sommers der Grenzhirte mit seinen Herden, für die er Schnee und Eis aus
den Felsenspalten hervorholt. Und auch dem wehrt der Karst. Der gleichmäßige, nie auf-
hörcnde Singsang in den Lüften kann plötzlich zu Donnergeheul anschwellen; rauschend
und prasselnd werfen die Windstöße die losen Steinchcn umher, und mit einem Wuth-
gebrülle fegt die Bora über Alles hinweg. Das Leben erstirbt in Grauen und Eiseskälte,
wenngleich' die Sonne durch die krystallhelle, flimmernde Luft ihre glitzernden Pfeile
niedersendet.
Doch die Bora ist noch nicht alle Schreckniß dieser Gebiete. Zu dieser gehört noch
im Sommer Wassernoth, im Winter Überschwemmung. Die fruchtbare Ebene von Lwno,
das von Wassergevögel aller Art umflatterte Röhricht des Buskoblato, das Duvanjsko-Poljc,
und eine Riesenstufe höher, das Glamocer-Feld, alle sind zur Winterszeit Seen, aus denen
die Berglehnen wie Steilküsten aufragen, auf welchen der Einbaum schaukelt, die Fahre >
den Verkehr zwischen den an den Rändern des Polje liegenden Ortschaften vermittelt,
wenn die Bora nicht eben haushohe Wellen aufwühlt. Jeder der großen Terrainabsätze
wird von einem Höhenzug eingeschnürt, der, den freien Abfluß des Wassers hemmend,
dieses zwingt, unter dem Erdboden seinen Lauf weiter zu nehmen. Haben aber die langen
Herbstregcn die unterirdischen Behälter gefüllt, so hören die Abflüsse auf, und das Wasser
staut sich auf den Poljes, um bis zum Frühlinge hier stehen zu bleiben, worauf es rasch
sinkt, dem Menschen die feuchte Scholle zur Bearbeitung überlassend, wo mcht die Höhe
der Lage oder Sümpfe dieser Ausnützung entgegentreten.
Auf keiner der vielen Hochebenen des bosnisch-hercegovinischen Karstgcbictes läßt
sich Anfang und Ende dieses interessanten Naturschauspieles so mit einem Blicke über
schauen, wie auf dem schönen Livanjsko-Polje, ober dessen weitem Wiesenplan nichtselten
eine Fata Morgana — Luftspiegelung wie im Alföld — zwischen dem Bergkranze schwebt.
In dem am Fuße der östlichen Höhen, der Krug-Planina, gelegenen Städtchen Livno
entströmen einer Felswand aus zwei nebeneinander liegenden Öffnungen, der große und
der kleine Duman genannt, Wasserarme, die je nach der Jahreszeit rauschend und wallend
oder seicht rieselnd durch die Stadt ihren Lauf nach der Ebene nehmen. An anderen
Stellen sickert das Wasser unter dem Berge hervor gleich einer gewöhnlichen Quelle, oder
tritt als ruhiger Wasserspiegel aus einer Höhlung heraus. Als Gegensatz zu diesen Aus
tritts-Ponors kann man quer über der langgestreckten Ebene am psuße des Prolog, auf
einer Entfernung von kaum drei Kilometern, neben einander vier mächtige Schlünde sehen,
die, typisch in ihrer Art, den größten Theil der Wassermassen des Polje aufnehmen. Der
erste derselben, der sich hart neben der den Prolog hinansteigenden Chaussee befindet, fft
in der trockenen Jahreszeit auf ungefähr 500 Meter zugänglich und gleicht einem etwas