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Ein Zauber eigener Art umfließt diese, durch phantastisches Gefels verdunkelten
Wasser, diese schwindelnd hohen Steinbasteien mit ihren Riffen, Hörnern und Graten. Die
Schluchten des Vrbas haben keine Geschichte. Für unwegsam galten sie bis hinein in die
jüngsten Tage, und keine Sage wirft einen erhellenden Strahl in die Nacht der
Vergangenheit. Wohl sieht man an drei der wildesten Punkte, Adlerhorsten gleich,
zerbröckelndes Gebüu auf den' Felsspitzen kleben; aber diese waren nur auf weiten,
mühseligen Umwegen über die breiten Rücken der Berge erreichbar. Sie dünken uns
wie allerletzte Zufluchtsorte, wie Stätten der Verzweiflung oder des Menschcnhasses.
Gornji-Seher, Novoselo und Karanovaczurücklassend, geht die Straße schnur
gerade auf die graubraunen, jäh abfallendenWände los, aus deren schmalem, finsterem Spalt
der Vrbas brausend hcrvorschießt. Eine Krümmung der Straße, und man meint in einen
schwarzen Schlund hineinzusehen, auf dessen Grund sich eine weiße zischende Schlange
windet. Es ist das „Tjesno", die „Enge", das erste große Vrbas-Defile. Bei hohem
Wasserstande trägt uns die Straße kann- mehr als durchschnittlich zehn Meter über dem
Wasserspiegel dahin. Der Fluß ist zuweilen aus acht biv zwölf Meter Breite zusammen-
gepreßt und versprüht dann seine Gischt in ohnmächtiger Wuth an den glatten Stein-
Wänden. Die Wände steigen an beiden Seiten bis zu 200 Nieter, an einzelnen Punkten
sogar bis 300 Meter relativer Höhe.
Von den Graten wagen sich vereinzelte Buchen hinab in die Schlucht, und küm
merliches Buschwerk und Moos legt seine Zier um das Gewände. Wie zwischen Kerker
mauern fährt man dahin, einem mächtigen Thore entgegen. Endlich tritt man ans dem
Defile in ein unfreundliches Thal mit mächtigen Grashängcn. Ein vom Gebirgsstocke los-
gerissener Felskoloß sperrt hier den Weg. und die Straße muß sich beim Umfahren tief in
die überhängenden Wände einschneiden. Der Fels trügt die Überreste der Ruine Zvecaj,
in der im XV. Jahrhundert der bosnische Herzog Hrvoja zeitweilig residirt haben soll.
Immer weiter treten die Lehnen der Osmaca zurück und wieder weitet sich das Thal
zu einer sonnendurchleuchteten An. Jetzt sieht man hie und da ein einsames Gehöft und
vereinzelte Menschen. Manchmal zieht die melancholische Weise einer Hirtenflöte durch
die Stille. Von den Bergen niedersteigende Karawanen übersetzen den Fluß: die Menschen
auf Flößen, die beladenen Pferde kämpfen schwimmend mit der Strömung. Jetzt taucht
ein Ort, Krupa, auf; von der Höhe blickt ein Kirchlein nieder; da sieht man vor sich den
Ring der Berge abermals sich schließen; die Manjaca- von rechts und die Tisovac-Planina
von links stoßen zusammen, nur getrennt durch den Spalt, dem der Vrbas entströmt.
In einige spitze Kegel scharf zugeschnitten fällt der Grat der Manjaca in das neue
Felsenthor des Vrbas ab. Die höchste Spitze trägt noch einen runden, mittelalterlichen
Thurm, und ringsum bis auf die äußersten vorgeschobenen Stützfelsen laufen die ver-