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Viele Kilometer weit schweift der Blick ungehindert über die klare Fläche. Wo sich
diese wieder zn einem Fluß verengt, erschimmert, halb verhüllt von dem Geäste mächtiger
Bäume, das alte Gjölhissar, jetzt gleich den Seen einfach „Jezero" genannt. Früher ein
wichtiger Posten an der nach Norden führenden Straße, hat der Ort jetzt nur die Bedeu
tung eines Tonristenhauses. Hier ändert sich das Flnßbild der Pliva. Ruhig und tief liegt
sie in den schluchtigen Engen, bei Sipovo die Grundmauern einer lüngstvergessenen römischen
Niederlassung bespülend, und ebenso ruhig entquillt sie dem Sockel eines schroffen Felsens.
Am Plivathor Jajces wallt das Wasser vorüber, und wie ferner Orgelton liegt es
in der Luft. Eine breite Brücke trägt hier die Fahrstraße über die Pliva, an deren rechtem
Ufer ein schmaler Fußsteig zwischen dem Grün verschwindet. Man folgt diesem, und schon
nach wenigen Schritten sieht man sich zwischen steilen Hängen an dem wild dnhintosenden
Wasser. Unzählige, mit morschen Mühlen dccorirte kleine Inseln mit mächtigen Ulmen
und Weiden ragen ans den Wirbeln empor, den Engpaß beschattend. Und plötzlich stürzt
sich der Fluß, von allen Seiten eingeengt, zwischen Felsenriffen durch, über eine dreißig
Meter hohe Felswand in ein schluchtartigcs Thal hinab, wo der Vrbas — wie das Volk
sagt — die Pliva „vernichtet".
Fast däucht es müßig inmitten der Pracht Jajces von Vergangenem zu sprechen.
Dem Historiker, für den es gilt, die gähnende Leere ganzer Jahrhunderte in der bosnischen
Geschichte mit wenigstens schattenhaften Umrissen von Figuren und Ereignissen auszn-
füllen, ist das alte Jajce mit seinem Culturkreise eine Stätte eifrigen Forschens. Aber dem
Gedächtnisse und dem Herzen des Volkes ist alles entschwunden. Längst vergessen ist der
Name des mächtigen Großvojvoden Hrvoja, des Gründers von Jajce, gleich den
Namen der anderen bosnischen Magnaten, die die Zupa Pliva mit Krieg überzogen oder
vertheidigten, —vergessen, wie das große Ereigniß derKrönung des letzten bosnischen Königs
in der Samt Lncaskirche. Gewisse Mauerreste bezeichnet Einer oder der Andere zögernd
als „Kotrvmans"-Palast; die „Sahat-Knla st der Uhrthurm, wird dem christlichen Helden
Vnk Jajcanin, der sich in irgend einem dunklen Jahrhunderte durch Stärke und Grobheit
ausgezeichnet, als Wohnung zngetheilt, und in den Katakomben saß dessen Concurrent,
der Mohammedaner Ali aus Gerzovv gefangen. Nichts weiter von den noch immer rüthsel-
haftcn Felsengewölben, eben diesen Katakomben, durch wen und wozu sie entstanden, nichts
von der Blütezeit der bosnischen Ritterschaft, nichts von den heldcnmüthigen Kümpfen
der Ungarn, die Jajce noch durch ein halbes Jahrhundert nach dem Falle des bosnischen
Königreiches zu einem mächtigen Bollwerk gegen die Osmanen gemacht.
Auf der nördlichen Tabija, wo früher der berühmte „Zelenko" stand, der bei
weitem mehr lärmte als schadete, breitet jetzt ein Ahorn sein Geäst über gemüthliche
Kaffeegesellschaften von Graubärten, die über die ,8tarn vaüta" (alte Zeit) reden.