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Genauigkeit die Geschichte Österreichs von 1250 bis 1309 verzeichnet. Wenn auch
Ottokars Chronik mehr als Geschichtswerk ihren großen Werth hat, so darf man den
Verfasser nach der Lebendigkeit der Auffassung, nach der Deutlichkeit seiner Darstellung
und nach der Plastik seiner Schilderungen dennoch ohne weiteres auch den Poeten beizählen.
Ein berühmter Literarhistoriker unserer Tage sagt: „Die Steirer können mit Recht auf
ihren Ottokar stolz sein, dessen Chronik ein halbes Dutzend schöner Rittergedichte aufwiegt".
Ottokar war überhaupt ein viel belesener hochgebildeter Mann, der sich seinerzeit der Poesie
in der Schule Konrads von Rotenburg gewidmet hatte und durch seine Chronik ein
unvergängliches Werk schuf.
Hatte die Poesie in den Zeiten eines Ulrich von Lichtenstein auf steirischem Boden,
wenn auch nicht üppige, so doch immerhin manche schöneBlüten getrieben, welche demKranze
der deutschen Dichtkunst zur Zierde gereichen, so muß leider die Zeit vom XIV. Jahr
hundert an als eine düstere, poesielose im Lande bezeichnet werden. Es ist als ob die
beginnenden Türkeneinfälle, die Empörungen im Lande, insbesondere die Kämpfe gegen
die aufständischen Bauern allen Sinn für edlere geistige Thätigkeit erstickt hätten, — jedes
Jahrzehnt hat neue Kämpfe aufzuweisen, der Bürger hatte sich zu wehren gegen innere
und äußere Feinde. Manche Tragödie spielt sich auf dem kampfdnrchtobten Boden der
Steiermark ab, die auch wirklich den Dichtern späterer Jahrhunderte den Vorwurf zu
werthvollen Dichtwerken bot, wie das Geschick der einst so mächtigen Grafen von Cilli, die
Empörung Andreas Baumkirchers und andere mehr. Aber die Zeitgenossen stehen mit den
Waffen in der Hand und der Griffel des Dichters ruht. Auch in den Klöstern zeigte man
sich deutscher Dichtkunst nicht mehr so hold wie früher, Wohl wurde eines oder das andere
der älteren Gedichte abgeschrieben, aber kein neues Schaffen tritt zu Tage. Und wo dennoch
ein kleineres Dichtwerk der Feder eines Mönches entströmt, geschieht dies in der
herrschenden lateinischen Sprache, welche nunmehr wie der Gelehrsamkeit so auch der
Poesie ausschließlich dient. Es geschah dies in jener Zeit, in welcher Poet und Gelehrter
überhaupt nicht von einander getrennt wurden, und leider dauerte diese Zeit manch
Jahrhundert hindurch.
Die Wirren der Reformation und der Gegenreformation zu Ende des XVI. Jahr
hunderts waren ebenfalls nicht darnach angethan, das poetische Leben im Lande zu
fördern, aber ein Erfolg, welcher der späteren Zeit zu Gute kam, ward durch die
protestantischen Prediger hervorgerufen. Es ist dies die Hebung und Klärung der deutschen
Sprache, welche dieselben für ihre Schriften wählten, die wieder Gegenschriften in derselben
zur Folge hatten. So gewann die deutsche Muttersprache an Deutlichkeit und bürgerte sich
selbst in den gelehrten Kreisen ein, welche derselben bisher schroff genug gegenüber standen.
Die protestantischen Prädicanten zu Ende des XVI. Jahrhunderts schrieben ihre geistlichen