VORWORT
Von glänzender Buntfarbigkeit, mit Silber und Gold verspiegelt, im Seidenglanz pastellfarbiger
Töne, leuchten uns Gablonzer Perlen von Musterkarten entgegen. Jetschwarz heben sie sich
von Seide und Tüll ab, geben Perlmosaiken ihre strahlende Helligkeit und schmücken Gewebe in
verwirrender Vielfalt. Verstickt und verstrickt, sind sie metallischen Perlen benachbart; kunstvoll
verflochten zu Glockenzügen dienen sie Auge und Ohr; funkelnd bekrönen sie Diademe und
Kämme, Agraffen und Nadeln. Vom Mattschwarz der Trauer zum Prunk des Theaterschmucks ist
die Empfindung von Schmerz und Freude im Schimmer der sorgsam gewählten Perlen
wiederzufinden.
Nußgroß oder fein wie Staubkörner, sind sie zu schweren Colliers gereiht oder strömen wie rauher
Flitter über Flächen. Ornamente bildend, die aus winzigen Farbkörnern gemalt scheinen. Aus Glas
geblasen, gequetscht und gewickelt, aus plastischen Massen gepreßt, nehmen die Perlen aus
Gablonz alle erdenklichen Formen an: Kugeln und Oliven, Würfel und Zylinder, Ringe und
Scheiben, Spindeln und Spulen, Früchte und Blumen; sie tragen phantastische Namen wie
Atlasperlen, Morgenstrahl-Perlen, Feder- und Schiangenperlen, Boxer und Knebel. Früh schon
waren sie über alle Kontinente verbreitet; viele gingen verloren, wurden zerschlagen, sind in
unbekannten Lagern verschollen. Auf verschlungenen Wegen gelangten manche wohl wieder
zurück nach Europa, nach Böhmen, woher sie kamen - wie erkennt man sie wieder, die Perlen aus
Gablonz, wie benennt man sie in ihren vielfältigen Arten, wer weiß noch von den Flammen und
Formen, den Öfen und Zangen, durch die sie entstanden?
Milliarden von Perlen aus Glas und Keramik sind nicht mehr bestimmbar, man kennt wederZeit noch
Ort ihrer Entstehung. Auf Spurensuche wären wir wohl verloren im Niemandsland, gäbe es nichtjene
unverzichtbaren Zeugen derzeit: die Mustertafeln und -bücher, die Privilegien und und Rezepturen,
die Berichte von Reisenden, die staunend in den Hütten der Glasbläser und Drückerstanden, denen
der Compositionsglas-Erzeuger seine Tür verschloß, die in langen Ziehgängen der Glasfabriken
beim Röhrenziehen zusahen und von der Farbenpracht der Stangen geblendet waren.
Wie keine andere Stadt ist Wien den Forschenden gewogen: Museen, Archive und Bibliotheken
geben Schätze preis, die nur mehr die Frage erlauben, wie solcher Reichtum zu bewältigen ist (die
Gablonzer Perlen in der weltweit einzigartigen Sammlung des Technischen Museums Wien, vom
Biedermeier bis zum Jugendstil reichend, sind so ein unerwartet entdeckter Bestand). Nur ein
Bruchteil der Vorgefundenen Materialfülle läßt sich zwischen zwei Buchdeckel zwängen, daher
kann die vorliegende Publikation trotz ihres Umfangs bestimmte Phänomene nur schlaglichtartig
aufzeigen: die Musterkarten aus der Jahrhundertwende, Perlen-Technologie, die zeitgenös
sischen Texte im Anhang. Der Anschaulichkeit möge der Bildteil dienen, der öffentliches Gut und
private Sammelleidenschaft zu verbinden sucht. Der begleitende, erklärende Text mußte sich,
gemessen am Umfang der vorhandenen Quellen, spartanisch beschränken.
Anhand der Sammlungen in Wien und in Kaufbeuren-Neugablonz (Gablonzer Archiv und Museum
e.V., Neugablonzer Industrie- und Schmuckmuseum e.V., Kaufbeuren-Neugablonz), kombiniert
mit den Privilegien im Österreichischen Patentamt in Wien und Anschauungsmaterial aus heute
noch tätigen Werkstätten, wird eingangs den Herstellungstechniken der Glas- und Masseperlen
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein umfassendes Kapitel gilt jeweils den Spreng- und
Druckperlen, den Wickel- und Hohlperlen. Farben, Formen und Größen sowie Problemen der
Terminologie sind eigene Abschnitte gewidmet.
Die Musterkarten der Gablonzer Firmen Gebr. Redlhammer und Gebr. Mahla bilden einen
weiteren Schwerpunkt. Die zeitgenössische Dokumentation umfaßt Texte zur Technologie und
Geschichte der Gablonzer Perlen und wird durch Illustrationen aus der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts bereichert.
Derzeitliche Rahmen-Historismus und Jugendstil-wird im technologischen Einleitungsteil bewußt
gesprengt, um bestimmte Verfahren besser dokumentieren zu können. Unverzichtbar sind hier die
Sammlungen im Technischen Museum Wien, deren Reichhaltigkeit immer wieder von neuem
erstaunt; besondere Schätze in dieser noch zu erforschenden Vielfalt sind die Perlen vom
Biedermeier (aus dem „k. k. Fabriksproduktenkabinett“) bis zum Jugendstil; aus drei Zentren der
Glasperlenerzeugung (Gablonz, Wien und Murano-Venedig) stammen Rohmaterialien und
Halbfabrikate, von Compositionsglas-Brocken aus Böhmen bis zum Kuchenschmelz aus Venedig,
von dünnwandigen Röhrchen für Hohlperlen bis zu Stäbchen und Stängeln (glatt und gedreht, in
6