Um die Jahrhundertwende hatte das Angebot an Glasstangen eine Vielfalt erreicht,
die neben runden und kantigen Wandungen vor allem im Reichtum der
Farbnuancierungen einen Höhepunkt erlangte, der durch verschiedene Ver
arbeitungstechniken (Überfang, Streifenauflagen etc.) noch gesteigert wurde. Eine
Leistungsschau bot die Deutschböhmische Ausstellung in Reichenberg im Jahre
1906:
„Die massiven, undurchsichtigen Glasstangen, die in allen Farbenabstufungen in langen Reihen
aufgestellt sind, dienen zur Weiterverarbeitung für massive Glaswaren. Eine andere Reihe sol
cher Glasstangen ist von leuchtenden Glasfäden durchzogen, einmal oder mehrmals mit anders
farbigen Glase überhangen [sic! recte: wohl .überfangen’]. Das ist das Rohmaterial, das an die
Lieferanten abgegeben und von diesen und ihren Arbeitern in mannigfacher Weise zu Glasknöp
fen, Drucksteinen und Perlen verarbeitet wird. Die mächtigen Röhren aus Glas in verschiedenen
Farben und Musterung dienen zur Erzeugung des wichtigen Handelsartikels der Glasringe ...
begegnen wir auch hier wieder einer instruktiven Sammlung von massiven Stäbchen oder
schwachen Röhrchen in transparentem und gesättigtem Glas, die zur Weiterverarbeitung für ge
blasene, gedruckte und gesprengte Artikel dienen“ (Schindler 1906, S. 1718,1719).
Nach Posselt wurde der Bedarf des Stangenglases
„... bis in die 60er Jahre hinein von Josef Riedel in Polaun, Karl Riedel in Christianstal, Franz
Breit in Schatzlar und Unger in Tiefenbach gedeckt. Das Glas von der Firma Jos. Riedel eignete
sich mehr für Schmelz, das von Breit mehr für geschliffene Perlen (weicher im Schleifen)“ (Pos
selt 1907, S. 12).
Um 1930 waren sechs Firmen (L. Breit, Josef Priebsch, Ed. Redlhammer & Söhne,
Carl Riedel, Jos. Riedel, Leop. Riedel Ges.m.b.H.) Mitglieder der Gruppe Gablonz-
Tannwald (Wirtschaftsverband der Glasindustriellen und Arbeitgeberverband der
Glasindustriellen). Der Schwerpunkt ihrer Erzeugung lag auf Stangen- und
Stengelglas. Auf die Bedeutung des Rohglases, das von den Glashütten
hauptsächlich in Form von Stangen und Stengeln für die Heimindustrie geliefert
wurde, geht das Inserat ausführlicher ein:
„Das Haupterzeugnis der Glashütten des Gebietes, das Stangen? und Stengelglas wird in den
verschiedensten Zusammensetzungen, Stärken, Farben und Sorten geliefert. Besonders die
Farbentechnik ist in den Glashütten so ausgebildet, daß der Heimindustrie eine fast unendliche
Mannigfaltigkeit in den feinsten Schattierungen und Nuancen, auch in den verschiedensten Zu
sammenstellungen von Farben, wie Ueberfang, Streifen in satt- und durchsichtigen Farben und
im reinsten Kristall zur Verfügung gestellt werden kann“ (Lodgman-Stein 1930, S. 378).
Aber auch andere Firmen belieferten die einschlägige Industrie. Die Kom
positionsglashütte Heinrich F. Hübner in Gablonz empfahl: „Kompositions
glasstengel und Stangen in Kristall, Rosa, Rubinen u. diversen transparenten sowie
satten Farben, Perlmutter und Perlmutterachaten, Saferin“ (Lodgman-Stein 1930,
S. 414).
Eine Besonderheit waren die aus Glasröhren hergestellten Armreifen, „Bangles“, von
deren ungeheurem Absatz nach Indien die zeitgenössischen Texte berichten. Meist
aus „Nappeln“ hergestellt (mit Grundmustern bereits versehene Zylinderformen, die
nur mehr gesprengt und weiterverarbeitet werden mußten). Zur rationelleren
Erzeugung trug ohne Zweifel die Erfindung des „Wickelringes“ durch die Firma
Weiskopf in Morchenstern bei:
„ 1903 meldete die Firma Dr. Weiskopf einen neuen Artikel, den sogenannten, Wickelring’ als Pa
tent an... Die Glasstange wird unter gleichzeitiger Erhitzung auf einen der Form der herzustel
lenden Ringe entsprechenden, in Drehung vesetzten Körper in Schraubenlinien aufgewunden;
von der dadurch entstehenden Glasstange werden die einzelnen schraubenförmigen Windun
gen abgesprengt und durch nochmalige Erwärmung in eine Ebene gebracht, worauf die innere
Dekorierung und das Schließen des so entstandenen Ringes erfolgt...
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