H. Hallwich, Nordböhmen auf der Weltausstellung in Wien 1873, Reichenberg 1873,
S.32-34, 56-57
Ohne selbst der Standort einer eigentlichen Glashütte zu sein, bemächtigte sich jedoch schon
gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts Gablonz, der natürliche Mittelpunkt der genannten Plät
ze, des Verlages der von Letzteren erzeugten Waren, deren Hauptmasse schon zu Beginn des
18. Jahrhunderts geschliffene Glasperlen, später... auch Compositionssteine, endlich aber jede
Gattung Glasquincaillerie ausmachten. Als die renommirtesten Exportfirmen von Gablonz wer
den zum Jahre 1799 genannt: Anton Ungar, Christian Weiss, Franz Schwan und Franz und Josef
Dressier.
Die Zahl und die Betriebsamkeit seiner Bewohner bewog die Staatsverwaltung, Gablonz im
Jahre 1808 zum Marktflecken, 1866 zur Stadt zu erheben ...
Ein beiläufiges Bild des heutigen Standes der nordböhmischen Glaskurzwaaren-Industrie aus
schliesslich in den zwei Bezirken Gablonz und Tannwald möge den folgenden Ziffern entnom
men werden:
Neun Glashütten, u. z. zu Neundorf, Polaun, Wurzelsdorf, Antoniwald, Josefsthal (2), Christi
ansthal und Wilhelmshöhe (2) - zum Theil mit Gasöfen neuester Construction versehen, zu de
ren Feuerung jedoch blos Holz verwendet wird - beschaffen in allen Farben und Härtegraden
das nöthige Rohglas: massive und hohle Glasstangen, alle Arten Lustergläser, Briefleger, Fla
cons u. s. w. im Rohzustände, etwa 1400 Centner per Woche; in den Hütten wie in 67Glas-
compositionsbrennereien werden unmittelbar 660Arbeiter beschäftigt. Die meisten
Brennereien stehen in Gablonz, Kukan, Wiesenthal und Josefsthal. In 250 über alle Orte des In
dustriebezirkes zerstreuten sog. Druckhütten wird in kleinen Oefen, welche zum Theil mit
Holz, aber auch bereits in grosser Anzahl mit Steinkohlen beschickt werden, aus massiven Glas
stangen das Material in bestimmte Formen (Knöpfe, Broschensteine, Ohrringe und tausenderlei
andere Artikel) gepresst oder „gedruckt“. Das so gewonnene Halbfabrikat wird in mehr als
400 Schleifmühlen, sämmtlich durch Wasserkraft bewegt, weiter verarbeitet: zu Lusterglä
sern, Briefbeschwerern u. dgl. besonders in Dessendorf, Polaun, Antoniwald und Josefsthal; zu
Knöpfen, Perlen, Bijouteriesteinen u. dergl. vorzüglich in Albrechtsdorf, Morchenstern, Wiesen
thal und Maxdorf beinahe nur zu Perlen in Grenzendorf, Johannisberg und Friedrichswald; end
lich zu feineren „Steinen“ in Kukan, Reichenau, Radi und Gablonz. Ausserdem werden an soge
nannten „Trempelzeugen“ zu Zeiten von mehren tausend Arbeitern Unmassen schwarzer Perlen
für Damentoilettenbesatz in Neudorf, Schwarzbrunn, Labau, Dalleschitz, Zasada etc. verfertigt-
zu Zeiten stehen diese „Trempelzeuge“ allerdings gänzlich verwaist. - Eine Specialität bilden die
Glasspinnereien des Bezirkes, deren man 160 zählt; Werkstätten, in welchen der „Lampen
arbeiter“ an der Stichflamme des Lötrohrs aus massiven und hohlen Glasstangen die manigfach-
sten Kunstgegenstände hervorbringt, von denen wir noch sprechen werden. In circa 100 Per-
lenbläsereien „bläst“ der Arbeiter eben auch am Löthrohre die allerwärts bekannten hohlen
Glasperlen, denen im Grunde die Gegend ihren Weltruf dankt. So ziemlich die letzte Hand wird
an das Fabrikat gelegt in 250 grösseren Gürtlerwerkstätten, deren Hauptsitze die Orte Ga
blonz, Kukan, Reichenau und Grünwald. In etwa 120„Glasmalereien“ werden über 300 Ma
ler mit dem Decoriren insbesondere der Bijouteriewaare; mehr als 600 weibliche Arbeiter aber,
meist nur während der Wintermonate, durch die Perlenstickerei mit der Anfertigung von
Ampeln, Körbchen, Glockenzügen u. dergl. beschäftigt. Wohl 180 Handlungshäuser, dar
unter Firmen ersten Ranges, besorgen den Export der colossalen Productionsmassen dieser ge
wiss in ihrer Art einzig dastehenden „Hausindustrie“, für welche wir die Zahl der durchwegs frei
en, selbständigen Arbeiter auf mindestens 10.000 veranschlagen; die Summe Derer, welche
durch dieselbe mittelbar den Lebensunterhalt erwerben, darf mit 30.000 angeschlagen werden.
Der Productionswerth - bei der nachgerade ungeheueren Verzweigtheit des Gewerbes kaum
annähernd zu schätzen (man spricht von 3 Millionen) - gewinnt an wirtschaftlicher Bedeutung
im höchsten Grade dadurch, dass das verwendete Rohmaterial zur Gänze im Inlande gewonnen
und von hier aus, einzig und allein durch die Arbeit bis zum fünfzigfachen Mehrwerte geho
ben, über Land und Meer nach allen fünf Continenten verfrachtet wird ...
Die ausgestellten massiven und hohlen geschliffenen Glasperlen excelliren nicht weniger als
das Rohglas durch ihre Farbenpracht. Die Formen der Perlen bleiben immer dieselben, und wird
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