Max Winter: Zwischen Iser und Neisse! Bilder aus der Glaskleinindustrie Nord
böhmens, Wien 1900 (in Auszügen)
ln der Glashütte.
... Vor uns im Thale liegen dieRiedl’schen Glashütten, das Ziel unserer Wanderung.
Das Glas, das hier erzeugt wird, ist von feinster englischer und belgischer Qualität. Der Glaskö
nig Riedl hat ringsum im Lande seine Hütten gebaut. Außer den zwei Hütten in Polaun, die wir
im Folgenden kennen lernen werden, haben die Firmen Josef und Karl Riedl noch Hütten in Iser,
Kosten, Reinowitz, Grünwald, Josefsthal (2) und Maxdorf. Im Ganzen neun. Sonst sind noch grö
ßere Glashütten in Gablonz und in Harrachsdorf. In allen diesen Hütten sind etwa 2500 Arbeiter
beschäftigt.
Den Zwecken der vorliegenden Schrift wird es entsprechen, wenn wir an dieser Stelle den Pro
duktionsprozeß nur in großen Zügen schildern. Länger wollen wir nur bei der Erzeugung der
Glasstangen und Stengel verweilen. Dies deshalb, weil wir auf der Wanderung durch das Glas
macherland, wie das Isergebirge mit Recht genannt wird, auf Schritt und Tritt Menschen begeg
nen, die ihren Lebensunterhalt durch die weitere Verarbeitung und Veredlung der Halbfabrikate,
der Glasstengel und Glasstangen, gewinnen. In den rauchgeschwärzten Druckhütten ringsum
im Land; in den Perlenbläserdörfern; im „Biehm’schen“ drüben, wie die Glasmacher den Eisen-
broder und Semiler Bezirk nennen, wo arme gequälte Menschen vom grauenden Morgen bis in
die sinkende Nacht die Besatzsteinchen, einen früher blühenden Modeartikel, in Formen drük-
ken: überall werden die Hohlstengel, die Vollstengel und die Stangen verarbeitet, die in den
Riedl’schen Hütten gezogen werden. Die nächste Verarbeitungsstätte aller aus den Stangen ge
fertigten Halberzeugnisse ist dann die Schleiferei. Dort bekommen die einzelnen Artikel das ge
fällige Aussehen. Dort werden aber auch andere Roherzeugnisse der Hütten verarbeitet. So na
mentlich die Serviettenringe und die Flacons.
Der Glasmacher an der Arbeit. Gleich beim ersten Ofen der Hütte sehen wir die Roh
produktion der Serviettenringe in ihrer gegenwärtig vollkommensten Form. Es ist ein gewöhnli
cher Wechselofen. Im Zentrum des ringförmig angelegten Ofens glüht in den Häfen das über
Nacht geschmolzene Glas. In der Mauer, die den Rand umgibt, sind Oeffnungen, vor denen je
ein Glasmacher seinen heißen Arbeitsplatz auf der etwa ellenhohen Arbeitsgalerie hat, die um
den Ofen herum angelegt ist. Die Galerie ist etwa 2 Meter breit. Da oben stehen die braunhäuti
gen Glasmacher. Ihre Gesichter sind hochgeröthet. Dicke Schweißperlen tropfen zu Boden. Die
Glasmacher sind beständig einer Hitze von 40 bis 60 Grad ausgesetzt: 40 Grad am äußeren
Rand der Galerie, wo sie die weichen Glasklumpen mit Scheeren, Zangen, Glätteisen bearbei
ten, wo sie die Hohlglassachen durch die Pfeifen aufblasen oder die glühenden weichen Glas
klumpen, die Klautsche, in die Formen pressen; 60 Grad und noch mehr, wenn sie vor der Ofen
öffnung stehen und die Pfeife, an deren Spitze der Klautsch klebt, im Brande drehen.
Es ist 7 Uhr Morgens. Am Morgen, so lange das Glas noch weich ist, werden nur kleinere Sa
chen gemacht. Erst mit dem fortschreitenden Tag werden immer größere und größere Stücke
aus der glühenden Masse geformt, die in den Häfen unter dem Einfluß einer Hitze bis zu
1000 Grad immer mehr verhärtet. In den kleineren Hütten, den sogenannten Komposithütten,
die man ringsum im Lande trifft, die für die Produktion aber kaum in Betracht kommen, währt ein
„Brand“, so heißt der Schmelzprozeß des Glases, 24 bis 28 Stunden. Dann erst wird das ge
schmolzene Glas in den Häfen langsam abgekühlt und verhärtet. In den großen Glashütten er
kalten die Oefen nur dann, wenn an ihnen eine Reparatur nöthig ist. Die Siemens=Oefen der
Riedl’schen Hütten werden Abend für Abend frisch gefüllt, das heißt, es werden am Abend im
mer die mit dem Gemenge von Kieselsäureverbindungen und zumeist Alkalien und Kalk als Ba
sen gefüllten Häfen frisch eingestellt und über Nacht geschmolzen. Am Morgen findet der Glas
macher in den Häfen schon weiches Glas, das unter dem Einflüsse der Hitze - in den Riedlschen
Hütten ist Gasheizung - immer härter wird. Darum müssen am Morgen aus dem noch weichen
Glas kleinere Sachen geblasen oder gepreßt werden. Dazu gehören auch die „ N a p I “, die Näp
fe, aus denen die Serviettenringe gemacht werden. Ein „Napf“ hat in einer Form immer vier
Ringe und einen Boden. Die Form wird als Ganzes den Schleifereien geliefert. Dort erst wird der
Boden herausgeschlagen und werden die Ringe abgesprengt, die dann geschliffen und polirt
werden. In der Klaar’schen Schleiferei in Gablonz, dann in den Schleifereien von Johannesberg,
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