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nigfaltigkeit überwältigt werden. Hohlstengel von einer Linie im Durchmesser bis zu einem Cen- 
timeter, Stangen von dieser Stärke bis zur Zolldicke und jede einzelne Stange und jeder Stengel 
in allen Grundfarben und jede Farbe in 40, ja 50 Nuancen, dazu die Unterscheidung von hellen 
(durchsichtigen und durchscheinenden) und satten Farben, wie Türkis, Japangelb, Karneol - al 
les dies ist hier in den drei Stockwerken des Magazins zu sehen. Im untersten Magazin stehen 
wir einem Wald von Glasstangen gegenüber. Jede ist etwa 2 Meter hoch; ihrer 10 bis 15 sind im 
mer zu einem 20 Kilo schweren Bund mit Stroh zusammengeknüpft, und Bund reiht sich an Bund 
an den Ständern, an die sie gelehnt sind; Farbe an Farbe. Hier der Rubin, dort durchscheinendes 
Krystall; hier Smaragd und dort wieder Bernsteinimitation, da Krystallstangen mit zarten Farben 
überfangen, dort Aquamarin und Amethyst, kurz ein Farbenkonzert, wie es schöner, reicher nicht 
gedacht werden kann. Alle diese Stangen werden in den niederen rauchigen Druckhütten zu 
allen erdenklichen Gebrauchs= und Luxusartikeln verarbeitet, namentlich aber zu Lusterbehän 
gen, Knöpfen, Schnallen und allerlei sonstigem Damenschmuck. Unsere Wanderung führt uns 
später in viele solche Hütten. Wir werden noch reichlich Gelegenheit haben, zu hören, was Men 
schenfleiß und menschliche Begabung und Geschicklichkeit aus allen diesen Stangen formen. 
Im nächsten Saale starren uns von allen Ständern schwarze Glasbünde entgegen, und am Bo 
den und auf Tischen sehen wir Bündel von ellenlangen, bleistiftdicken Stangen übereinanderge 
schichtet. Diesen Stengeln begegneten wir etliche Tage vorher in den czechischen Dörfern des 
Semiler Bezirks in jeder der armseligen Behausungen - andere als armselige gibt es dort nicht - 
die wir betraten. Aus ihnen drücken die „Lampenarbeiter“ Tag für Tag Tausende der kleinen 
Steinchen, die dann zu Posamentrien für Damenkleider angereiht werden. 
Im dritten Stockwerke stoßen wir auf das Rohmaterial, das die armen Perlenbläser des Iser- 
gebirges verarbeiten. 200 Hohlstengel oft in einem Bündel, und Bündel ruht auf Bündel und hun 
dertfach ist wieder das Farbenspiel, an dem sich das Auge freut. Die Gedanken fliegen freilich 
fort in die Elendstätten, wo dieses schöne, reinliche Material verarbeitet wird, wo die Nächte zu 
Tagen werden, zu Tagen unsäglicher Arbeitsqual, wo fleißige, nimmermüde, ausgemergelte 
Männer und Frauen ein freudloses Dasein führen und wo die einzige Lebensfreude nothwendig 
die Qualen dieses Daseins steigern muß, weil sie die Zahl der hungernden Mägen steigert. Bei 
einem Bündel innen gerippter Stengel freilich stellt sich neben die Elendsbilder, deren Erinne 
rung noch allzu frisch ist, auch die Erinnerung an ein jüngst geschaffenes Werk und an einen 
Mann, der mit diesem Werke auf das Innigste verknüpft ist. Dieser verarbeitet nämlich solche ge 
rippte Stengel zur Feingoldperle. Dieser äußere Umstand lenkt meine Gedanken auf die Pro 
duktivgenossenschaft der Perlenbläser, deren geistiger Urheber und unermüdlicher 
Förderer eben dieser Mann, Herr Dr. Weiß köpf aus Morchenstern, ist. Die Produktivgenos 
senschaft hat mit vielem Geschick und Glück den Kampf gegen das maßlose Niederkonkurriren 
des Welthandelsartikels Hohlperle aufgenommen, und dieses Institut wird auch die armen Per 
lenbläser allmälig wieder besseren Verhältnissen entgegenführen, indem es die frühere fessel 
lose wilde Produktion in geregelte Bahnen weist. Auch darüber kann ich auf eine später folgende 
genaue Darstellung verweisen. In der Riedl’schen Ziehhütte in Polaun werden die Stengel für 
alle möglichen Perlen erzeugt. Nicht nur die Perlen, die die Augen der „besseren Menschen“ der 
Wilden in Afrika und der Halbwilden in Asien erfreuen und die deshalb der wichtigste, oft der ein 
zige Tauschartikel der Händler und Forscher im Verkehr mit den wilden Völkerstämmen sind, 
werden aus diesen Stengeln geformt, auch die Grabkranzperlen, die in vielen tausend Bündeln 
alljährlich nach Paris wandern, wo sie einen geschätzten Modeartikel zur Ehrung der Todten - 
auch darin macht sich die Mode geltend - abgeben; die bunte, eckige Perle, die, zu Colliers an 
gereiht, auf den Dorfjahrmärkten das Sehnsuchtsziel gar mancher zukünftigen Dorfschönen bil 
det; der Schmelz, mit dem das schwache Geschlecht die Kleider behängt, damit es schwerer zu 
tragen hat - alle diese, von der kleinsten mit freiem Auge kaum sichtbaren Perle bis zu den nuß= 
und taubeneigroßen Perlen aller Farben und Formen, werden aus den Stengeln geblasen, ge 
formt und gesprengt, die wir hier in bunter Fülle aufgestapelt sehen. 
Und der Werth aller dieser Bunde und Bündel? Für ihren Besitzer, den Millionär Riedl, sind sie 
als fertiges Produkt Kapital, das täglich in baare Münze umgesetzt wird; für die Tausende Glas 
arbeiter aller Branchen, die das Isergebirge bevölkern, sind sie das theure Halbfabrikat, dessen 
Verarbeitung ihnen bei hartem Frohn kaum die nothwendigsten Mittel zur Fristung einer weit 
unter das Niveau menschenwürdigen Daseins herabgedrückten Existenz sichert... 
In der Ziehhütte. Durch eine Reihe von Arbeitsräumen und Gängen gelangen wir nach 
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