PERLENGROSSEN
Die Größen der Gablonzer Perlen reichten „... von der kleinsten mit freiem Auge
kaum sichtbaren Perle bis zu den nuß= und taubeneigroßen Perlen aller Farben und
Formen..." (Winter 1900, S. 8, 9). Dieser poetischen Beschreibung entsprach ein
Nummernsystem, in dessen Mitte die Nullperle (O-Perle) lag.
Die kleineren Perlen „unter Null“ wurden von der Zahl der Nullen bestimmt, d. h. 0 - 00
- 000 - 0000, wobei man der Einfachheit halber die Schreibweise 2/0 (= 00) bis 20/0
(= zwanzig Nullen) bevorzugte. Es ist auffallend, daß dieses Nummernsystem bei
Karklins nicht angesprochen wird; die von Kenneth und Martha Kidd vorgenommene
Einteilung in fünf Größenkategorien „very small, underß mm; small, 2-4 mm; medium,
4-6 mm; large, 6-10 mm; and very large, over 10 mm“ (sehr klein: unter 2 mm; klein:
2-4 mm, mittel: 4-6 mm, groß 6-10 mm und sehr groß: über 10 mm) bezeichnet
Karklins selbst als nicht ausreichend (Karklins 1985, S. 113).
Die Größenbestimmung von Perlen war aus unterschiedlichen Gründen notwendig;
schon das Ausgangsprodukt für die Perlenerzeugung (Stangen, Röhren und Stängel)
mußte - meist nach dem Durchmesser - sortiert werden; bei der Herstellung der
Hohlperle verwendete der Perlenbläser ein Größenmaß (Abb. 213, S. 264); die
fertigen Perlen konnten mittels Sieben verschiedener Lochgrößen sortiert werden,
und schließlich diente die Perlenlehre zum Messen der fertigen Perlen.
Ludwig Breit verdanken wir wichtige Angaben über das Sortieren der Glasrohre und
die Anfertigung der Siebe zum Sortieren der fertigen Perlen:
„Die ... gesammelten Bündel (meist Gebündelgenannt) kamen in die große Auslesestube; dort
wurden mit Auslesemaschinen die einzelnen Stärken der Stengel aussortiert. Die dort arbeiten
den Frauen legten mit großer Handfertigkeit die Stengel auf weitertransportierende Ketten, die
die Stengel über genau einstellbare Leeren führten, die nach 2 Zehntelmillimetern eingestellt
waren. Die Durchmesser der einzelnen Stengel waren wie folgt festgelegt:
14 16 18 20 22 24 26 30 35 40 50 usw.
14-13/0 13-14/0 11-12/0 11/0 10/0 9/0 8/0 und stärker
In der unteren Reihe sind die Perlengrößen angeführt, die meistens von den Stengelgrößen er
wartet werden...
Die fertig geschmolzenen Perlen... kamen dann in die Perlensieberei. Das Sieben geschah mit
Schüttelwerken, die mit 4 bis 5 gelochten Blechsieben bestückt waren (Größe ca. 50 x 30 cm),
um die einzelnen Perlengrößen zu trennen. Die Siebe waren aus schwachem verzinktem Eisen
blech. Bevor wir die Siebe selbst in unserer Schlosserei bestellten, bezogen wir diese von dem
bekannten Siebmacher Josef Stecker aus Hochstadt im Riesengebirge. Stecker war Tscheche
und lieferte seine Siebe für alle Zwecke der Gablonzer Industrie fast ausnahmslos. Der Mann
hatte eine an die äußerst mögliche Primitivität grenzende Einrichtung zur Erzeugung dieser
Blechsiebe. An einer starken Blattfeder hing ein Stempel, den er mit dem Fuß in wippende Be
wegung setzte, sodaß der Stempel mehrmals in der Sekunde auf das Blech fiel. Mit der Hand
schob er das Blech geschickt hin und her, daß in ca. 15 bis 20 Minuten ein Blechsieb fertig war.
Wie er es fertig brachte, die Sieblöcher fast völlig regelmäßig zu stanzen, blieb mir ein Rätsel“
(Breit 1987-90, S. 69, 70).
Versuchen wir, dem Nummernsystem zur Größenangabe von Perlen chronologisch
nachzugehen, so finden wir die ältesten Beispiele böhmischer Provenienz bei den
Gablonzer Perlen der Biedermeierzeit. Vergleichbar frühe Konkordanzen von
venezianischen Perlen sind mir nicht bekannt; die mir zugänglichen gedruckten
Quellen und die Musterbücher von Barbaria und Barbini vom Beginn des
19. Jahrhunderts (Technisches Museum Wien, TH 32865, 32744) enthalten zwar
fortlaufende Nummern für die betreffenden Muster, aber keine Nummern-Größen-
Konkordanz. Bussolin und Zanetti erwähnen nur Siebe, die zum Sortieren der Perlen
nach Größen dienten (Bussolin 1847, S.23; Zanetti 1874, S. 131). Nur bei Keeß
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