60
Bis jetzt muß ich mindestens 100 Pastelle in
meinem Skizzenbuch fertiggestellt haben, die
trotz der Eile, welche manchesmal nötig war,
viele Details enthalten.
Die Leiterin der Chouillard School of Art in Los
Angeles, Mrs. Chouillard, war in ihrer großen
Gastfreundschaft sehr bemüht, uns alles Sehens
werte zu zeigen. Über das Wochenende ein Aus
flug von Los Angeles nach San Francisco. Eine
unvergleichlich schöne Reise auf der Bergstraße
entlang der Küste des Pazifischen Ozeans. Da
sie teilweise noch nicht fertiggestellt war, war
eine Umleitung über Bakersfield notwendig. Dort
lernten wir die unerträglichste Hitze kennen. Die
ersten Straßen, von Mexico kommend, entlang
der Küste, waren von den Mönchen der spani
schen Missionen gebaut worden. Die Missions
häuser in einem vereinfachten Stil spanischen
Barocks mit den Zufahrtsalleen von federig be
laubten Bäumen, die angenehm das feine Aroma
von Pfeffer verbreiteten. Die Oakland Bridge
nahe San Francisco war noch in Konstruktion,
und die gigantisch große Anzeige informierte
uns, daß die Brücke fünf Meilen lang sein und
35 Millionen Dollar kosten wird. Wie immer sind
auch hier Zivilisation und Natur nahe beisam
men, draußen auf den Felsen tummeln sich die
Seehunde und die Pelikane.
Zurück in New York, fand ich ein Telegramm vor,
in welchem mir der Direktor der Kunstgewerbe
schule in Wien mitteilte, daß ich mich um die
dort zu errichtende Klasse für Gebrauchsgraphik
bewerben solle.
Ich war überzeugt, daß mein Freund Professor
Haerdtl der Initiator dieser Aufforderung war,
da er wußte, daß ich den Schülern zuerst die
Flügel wachsen lasse, später werden sie sowie
so gestutzt. Bei meiner Abreise von New York,
im Dezember 1935, schauten wir traurig auf die
langsam entschwindende Skyline von New York.
In Europa hörte ich von einem Freund in Lewis,
Sussex, daß der Leiter der graphischen Schulen
in England neu gewählt werden solle. Nach mei
nem Besuch von „Pelikan“ in Hannover waren
wir im Zug nach Berlin die einzigen Zivilperso
nen. Ich besuchte Dr. Frenzei, den Herausgeber
der „Gebrauchsgraphik“.
Ich fand die Stimmung in Europa deprimierend,
und wir waren uns des Vorteiles der amerikani
schen Lebensauffassung bewußt. Von da an
begann der Entschluß zu meiner Rückkehr nach
Amerika zu reifen. Diese Absicht verstärkte sich
nach meiner Ankunft in Wien. Nach vielem Über
legen entschloß ich mich, mein Atelier in Wien
als „Oversea Branch" zu erhalten. Meine volle
Arbeitskraft war in Anspruch genommen, um
meinen Aufträgen, sozusagen „auf Vorrat“,
nachzukommen.
Im Rahmen der Weihnachts-Ausstellung des
„Neuen Österreichischen Werkbundes“ im
Österreichischen Museum für Kunst und Indu
strie wurde eine Ausstellung meines graphischen
Werkes von Plakaten, Schutzmarken und Ver
packungsentwürfen sowie die Pastellskizzen
meiner Reise in den USA in einem von Professor
Oswald Haerdtl entworfenen Raum gezeigt. Es
war ein außerordentlich schöner Raum, welcher
den Eindruck einer vollkommenen Integration
einer zum ersten Male stattfindenden Ausstel
lung für Gebrauchsgraphik schuf.
Im Zusammenhänge hielt ich am 18. Dezember
1935 einen Lichtbilder-Vortrag im österreichi
schen Museum. Professor Josef Hoffmann er-
öffnete den Vortrag; Professor Clemens Holz
meister bemerkte zu meinem jüngeren Bruder
Hans: „Binder ist einer der großen Künstler, die
wir haben.“