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das neue Brüdercanzionale geschaffene Bedürfniß beruft, die Kenntniß der Notenschrift
und überhaupt der Tonlehre im Volke zu verbreiten.
Das Beispiel der Brüdergemeinde wirkte sogleich auf die übrigen Confessionen
Böhmens; reichhaltige Gesangbücher mit notirten Melodien wurden nun von allen
Seiten gefordert und auch geboten, so daß gegen Ende des XVI. Jahrhunderts die
Utraquisten und die Lutheraner schon im Besitze von umfangreichen Canzionalen waren,
die den großen Vorsprung der Unität so ziemlich wettmachen konnten. Interessant ist der
Umstand, daß für den von allen nichtkatholischen Confessionen mit besonderer Vorliebe
gepflegten Psalmengesang sich mit der Zeit die ursprünglich von den Brüdern (zurTextüber
setzung von Georg Streyc) recipirten Singweisen der französischen Calvinisten eingebürgert
haben, zum Theil sogar in der vierstimmigen Bearbeitung von Claude Goudimel.
Dem Allen konnten sich natürlich auch die Katholiken nicht verschließen. Die schroff
abweisende Stellung, welche gegenüber der Zulassung der Volkssprache im gottes
dienstlichen Gesänge das Baseler Concil 1435 eingenommen
Aus dem Kyrie des lateinischen Canzionales von Jungbunzlau (um isoo).