bis weit ins oberste Drittel des Bildfeldes und schließt mit einer
Hügelkette oder Stadtansicht gegen den Horizont ab. Die welli-
gen Terrainstreifen dienen zugleich der Gliederung des weiten
Geländes und der Zusammenfassung der einzelnen Figuren-
gruppen. Der stark geographiseh-kartographische Charakter,
der diesen Kartons innewohnt, erscheint am klarsten in dem
ersten Teppich der Folge, dessen Karton nicht erhalten ist, aus-
geprägt, der eine große Karte und den ausführenden Künstler
allein daneben zeigt.
In der Einfügung der großen Figurenzahl in die landschaftliche
Struktur gelingt hier eine bei aller Fülle übersichtliche Gestal-
tung, die nicht am Detail hängen bleibt, sondern einen Gesamt-
eindruck großer bewegter Menschenmassen vermittelt. Die Ein-
fügung in die 'I'errainstreifen laßt den unvermeidlichen Sprung
in der Figurengröße wenig fühlbar erscheinen, die Vergrößerung
der Figuren gegenüber den Gegenständen, zum Beispiel den
Schiffen, die im einzelnen unnatürlich wirkt, gewährleistet die
vornchmliche Wirkung der Figuren, die Zusammenfassung von
Gruppen mit gleichgerichteter Handlung läßt bis in den Hinter-
grund hinein die einzelnen Aktionen noch klar erkennen.
In der Zeichnung der Einzelfigurcn, wie sie vor allem in den
Kartons deutlich zu sehen ist, herrscht bei Vermeyen eine eigen-
artige Mischung diskrepanter Stilclementc. Einerseits wird mit
Recht für seine Zeichnungsweise immer wieder die entschei-
dende Bedeutung Raffaelischer Figurentypen betont, anderer-
seits macht sich ein sehr deutliches Streben nach realistischer
Darstellung geltend. Die Entwicklung der Figurenauffassung,
wie sie im Werk Vermeyens im Laufe der dreißiger und vier-
ziger Jahre sich ausprägt, zielt auf eine plastische Herausarbei-
tung der Körperobcrfläche ab, die vor allem in seinen graphi-
schen Blättern durch eine kräftige Helldunkelwirkung die Fi-
guren wie Skulpturen wirken läflit. Diese auf plastische Wirkung
ausgehende, aber nicht das eigentliche Körpervolumen, sondern
nur die oft wie getrieben wirkende Oberfläche erfassende Ge-
staltungsweise findet sich auch in den Figuren der Kartons
wieder, wenngleich hier durch den Verzicht auf starke Licht-
und Schattenkontraste die Wirkung abgeschwächt erscheint. In
diesem monumentalen Werk, das gerade in dem an sicheren
Werken nicht reichen Oeuvre Vermeyens von besonderer Be-
deutung ist, wird um die Mitte des 16. Jahrhunderts die glück-
lichste Lösung des monumentalen Historien- und Schlachten-
bildcs gegeben, die besonders in ihrer Verbindung von topogra-
phisch und historisch treuer Schlachtendarstellung und deko-
rativem Reichtum und Wirksamkeit noch für ähnliche Themen-
stellungen im 17. Jahrhundert vorbildlichen Wert besessen hat.
Gerade für diese schwierige Aufgabe hatte jedoch auch Ver-
meyen in zwei ebenfalls monumentalen Werken der Renais-
sancetapisserie sehr wesentliche Vorbilder, auf denen er auf-
bauen konnte. In dem Werk des nur wenig älteren Brüsseler
Meisters Barent van Orley fand sich in den Kartons zur Folge
der Schlacht von Pavia, die Karl V. von den Niederländischen
Generalstaaten als Geschenk überreicht worden war, eine in
der Art des Auftrages wie der Aufgabenstellung durchaus ver-
wandte Serie. Orley, der Begründer und Hauptvertreter des
romanistischen Tapisserieentwurfes, hatte im Laufe der zwan-
ziger Jahre für seine großen Serien historisch-epischen Charak-
ters besonders einc Kompositionsform ausgebildet, die die Fi-
guren, von der Mitte ausgehend, in einem weiten Plan in unge-
fähr elliptischer Form anordnet, wobei der vordersten Figuren-
gruppe inhaltlich wie künstlerisch eine überragende Bedeutung
zukommt. Dieses Kompositionsschema, das Orley in seinen
Grundzügen von Raffael übernommen und selbst nur variiert
hatte, behielt auch für die folgende Künstlergeneration seine
außerordentliche Bedeutung, erfuhr jedoch verschiedene Ab-
wandlungen. Die Betonung der vorderen Figuren mit ihrer fast
ausschließlichen Beherrschung des Bildes weicht einer gleich-
mälligeren Austeilung der Figuren, wobei die Gruppen gegen-
über der Einzelgestalt immer mehr Bedeutung erlangen. Die
Jan Vermeyen, 'l'eppichkarton, Detail aus der Einnahme von La
Goleta. Wien, Kllüälhhlülltlchd! tuusi-ttnt.
Steigerung der Tiefe und Weite des Raumbildes, die sich in Or-
leys Entwürfen deutlich verfolgen läßt, erreicht in seinen Kar-
tons der Schlacht von Pavia um 1530 ihren Höhepunkt (Zeich-
nungen Paris, Louvre, Teppiche Neapel.) Vor allem die ge-
schickte Wahl des Blickpunktes, die eine starke Draufsicht gibt,
ohne die eigentliche Vogelperspektive der Schlachtenmaler zu
verwenden, hat Vermeyen zweifellos als wichtige Anregung ge-
dient, wie Orleys Tapisseriestil überhaupt die wichtigste Grund-
lage für seine monumentalen Entwürfe bildet.
Darüber hinaus aber hat er zweifellos auch eine wesentlich frü-
here Scrie als Vorbild verwendet. Eines der sehünsten Stücke,
die Heerschau in Barcelona mit der Komposition der Figuren in
einem großen Ring, in dessen Hintergrund sich die Hauptfigir
des die Truppenparade abnehmenden Kaisers befindet, die auf
den ersten Blick keineswegs als Hauptfigur ins Auge fällt, stellt
in der Anordnung des Reiterzugcs eine nur wenig veränderte
Variation des Teppichs mit dem Auszug des Urias aus der
David- und Bathsebafolgc aus dem zweiten Jahrzehnt des
16. Jahrhunderts dar. (Paris, Cluny-Museum.) Stilistisch gehört
diese Serie zu einer kleinen Gruppe von Werken, die dem Ju-
gendstil Barent van Orleys noch vor seiner intensiven Aus-
einandersetzung mit der Kunst Raffaels nahestcht. Zum ersten-
mal kündigt sich in diesen Tapisserien die Überwindung der
spätgotischen Tradition mit ihrer Betonung der Fläche und der
dichten Erfüllung mit Figuren durch eine Beschränkung der
Personenzahl und ein übersichtliches weites Raumbild an. Ge-
rade diese Verwendung eines mehr als ein Jahrhundertviertcl
zurückliegenden Entwurfes ist für die im Grunde altertümliche
Raumdarstellung und Komposition Vermeyens charakteristisch.
Die von der zweiten Generation der italienischen Künstler des
16. Jahrhunderts vor allem von Vasari ausgebildete Art der
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