VORWORT
Das Verständnis und die Schätzung der ostasiatischen Kunst ging in Europa einen
ähnlichen Weg, wie ihn die antike Kunst erlebte. Den Ausgang bildete in beiden Fällen
das Spiegelbild der urtümlichen Kunst, für die Antike die römische, für die ostasiatische
die japanische. Japan verhält sich mit seiner Kunst zu China, wie Rom zu Griechenland.
Allerdings sind diese Wege insoferne nicht parallel, als unsere ältesten Archäologen doch
vom Anfang an wenigstens von römischen Meisterwerken ausgingen, während unsere letzte
Generation das Studium der ostasiatischen Kunst mit den japanischen Holzschnitten anfing.
Die Bedeutung des japanischen Holzschnittes für die ostasiatische Kunst hat O. K ü m m e 1
ebenso witzig wie treffend mit der Bedeutung Oberländers in der deutschen Kunst
verglichen. Wenn wir erst einmal die ältere chinesische Kunst so gut kennen werden,
wie wir die alte Kunst Europas kennen, werden wir japanische Holzschnitte ebenso ein
schätzen wie heute unsere Graphik des neunzehnten Jahrhunderts.
Die Ausstellungen ostasiatischer Kunst der vergangenen Jahrzehnte waren, von der
Keramik abgesehen, vorwiegend Ausstellungen japanischer Holzschnitte und japanischen
Kunsthandwerks. Dies gilt besonders für Wien, das im Jahre 1884 eine keramische Aus
stellung und 1905 eine rein japanische Ausstellung, beide im Österr. Museum, ferner im
Jahre 1900 die Ausstellung der Adolf Fis ch e r-Sammlung japanischer Kunst in der
oezession, zeigte. Diese Überschätzung des japanischen Kunstgewerbes ist nun freilich
in den letzten Jahren in ihr Gegenteil umgeschlagen und man wendet sich jetzt entschieden
von den Römern den Griechen des Ostens zu. Damit soll Japans Verdienst um die ost
asiatische Kunst keineswegs herabgesetzt, vielmehr nur in das richtige Licht gerückt
werden. Besitzt doch Japan die schönsten Werke buddhistischer Plastik, die seine
Künstler in Nacheiferung Chinas während der großen Blütezeit ostasiatischer Kunst, der
Tangperiode, geschaffen haben, Werke, die allein imstande sind, uns eine richtige Vor
stellung von der fast gänzlich zerstörten chinesischen Plastik jener Zeit zu geben. Nur
in Japan sind ferner Wandbilder aus jener Periode erhalten; das Schatzhaus in Nara
birgt eine Fülle von Schätzen aus jener Epoche, und die meisten erhaltenen altchine
sischen Bildrollen befinden sich heute in japanischem Tempel- und Privatbesitz. Die
Japaner waren gleichzeitig Schüler und pietätvolle Konservatoren der chinesischen Kunst
und heute sind sie durch ihre prachtvollen Publikationen deren Verkünder in der west
lichen Welt. Dies alles verdanken wir ihnen. Es darf uns aber nicht hindern, den
schöpferischen Geist im Mutterlande der ostasiatischen Kunst zu suchen.
Von dieser Idee ist die Ausstellung getragen, die freilich nicht mehr geben kann, als
derzeit in Wien zu finden ist. Zielbewußte Sammler chinesischer Kunst gab es in Wien
bisher nicht, zumal auch jegliche Führung oder Anregung seitens der Museen fehlte.
Nur die Ethnographische Abteilung des Naturhistorischen Staatsmuseums verfügt über
einen beachtenswerten Stock chinesischer Kunst, der von einstigen Forschungsreisenden