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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 9
der mondänen Damen im Zeitalter der westeuropäischen
Renaissance. Es ist der neue Typus der europäischen
Dame. Jenes luxuriösen Geschöpfes, dessen Geist sich
ganz auf Toiletten, Nagelpflege, Musik, Literatur und
Flirt konzentriert. Liebe, Heiterkeit und Lebensgenuß
sind die Eckpfeiler ihrer Lebensphilosophie. Sie will
Freude empfangen und geben. Singen doch die Damen,
die auf den Halbfigurenbildern verewigt worden sind,
nach ihren kleinen Notenheften das schöne Lied Clement
Marots, dessen erster Vers lautet: ».Jovyssance vous
donneray« und dessen letzter: »Tout vient a poinct qui
peult attendre.«
Deutsche Holzplastik.
Bei der immer steigenden Wertschätzung, eie sich seit
einigen Jahren den Werken der deutschen Plastik zuwendet —
wir erinnern nur an die Versteigerung Schwarz 1910 und Lipp-
mann 1912 — verspricht der Verkauf der Sammlung O e r t c 1,
auf die wir schon in der vorigen Nummer hingewiesen haben,
ein Ereignis ersten Ranges auf dem internationalen Kunstmarkt
zu werden.
Unter einer bedeutenden Anzahl von Stücken in dem
strengen Stil der Frühzeit sind in dieser Kollektion vor allem
die führenden süddeutschen Bildhauerschulen der Spät-Gotik und
sprechenden Handbewegungen. Die rechts hält eine Kugel (?)
in der Linken. Aufgestecktes Haar, von dem bei der Figur links
ein Zöpfchen herabfällt, während bei den anderen breite Flechten
das Gesicht einrahmen. Die beiden letzteren haben ornamen
tierte Reife im Haar (Rankenmuster), die links auf dem Reif
j noch einen niedrigen Blattkranz. Modische Gewandung mit
enger Taille und weiten, gefalteten Aerrneln, die teils am Ell
bogen und Handgelenk durch ein Band gerafft sind, teils in
voller Weite sich öffnen. Die Figur rechts trägt einen Goller
mit hochgestelltem Kragen.
F'ig. 6. Weibliche Halbfiguren.
Früh-Renaissance vertreten. Von dem Reichtum dieser Preduk- I
tion, die sich auf engem Raum und in wenige Jahrzehnte zu- I
sammendrängte, ist noch niemals ein so umfassendes Bild ge
geben worden. F'ür viele wird es eine Ueberraschung bedeuten,
wie hier Niederbayern, Oberschwaben und der Oberrhein als
ebenbürtige Quellgebiete deutscher Kunst neben die altberühmten
Werkstätten eines Riemenschneider und Veit Stoß
treten. Aus Tirol stammt die Figur eines thronenden Kaisers,
deren Züge auf Rudolf von Habsburg weisen, schon dem
Gegenstand nach eine der größten Seltenheiten innerhalb der
deutschen Holzplastik, die vor der Renaissance fast nur heilige
Gestalten wiedergab.
Den ganzen Liebreiz schwäbischer Kunst offenbart eine
Gruppe von drei weiblichen Halbfiguren im Kostüm des
spätesten 15. Jahrhunderts (Fig. 6).
Die Gruppe ist nach rechts orientiert: der Blick der Mittel
figur ist nach vorne gerichtet. Die beiden Randfiguren mit
Ulmer Schule, Ende 15. Jahrh
Die Figuren, die unten abgesägt erscheinen, dürften aus
J einem Altar, beziehungsweise einer Predella stammen. Fs liegt
nahe, in ihnen die drei Schwestern zu vermuten, die vom hl.
Nikolaus von Bari ausgestattet wurden.
Oberschwäbisch ist auch die Wandstatue der Madonna mit
i dem Kinde (Fig. 7). Die Madonna steht auf einer dünnen Sockel
platte, ihr Blick ist geradeaus gerichtet. Ueber dem Lockenhaar
befindet sich ein weißes Kopftuch, das, um den Nacken ge
schlungen, links vorne herabfällt. Das Kind, mit erhobenen
Aermchen aufrecht sitzend, wird von beiden Händen leicht fest
gehalten.
Dasselbe Motiv behandelt auch Fig. 8, deren Provenienz
auf Straßburg hindeutet. Maria steht, das Haupt nach vorne ge
richtet, den Blick gesenkt, auf einem kapitellförmigen Acht
ecksockel. Der Oberkörper ist zurückgenommen, die rechte Hüfte
stark vorgeschoben. Sie faßt das nackte Kind mit der linken
Hand an der Schulter, mit der rechten an dem Fuß, der in