DIE WINTERAUSSTELLUNG IM ÖSTER-
REICHISCHEN MUSEUM? so VON LUDWIG
HEVESI-WIEN w
IE Winterausstellungen folgen sich und gleichen
sich nicht. Die Strömung zwar hat seit einigen
Jahren nicht gewechselt. Sie kommt nach wie
vor nicht aus der Bücherei, sondern aus dem
Leben, ihr Schlagwort ist Gegenwart, nicht
Vergangenheit. Es herrscht jener moderne
Geist, der in England schon vor länger als
einem Jahrhundert erwacht war und, als man
ihn schon für todt halten wollte, plötzlich als
neues Leben über den Continent hereinbrach.
Er überwand die glänzende archäologische
Episode um die Mitte des XIX. Jahrhunderts und lenkte das Kunst-
gewerbe in das Geleise seiner natürlichen Entwicklung zurück. Es geht
nun wieder mit dem Leben und belauscht dessen Bedürfnisse, um ihnen
unmittelbar zu dienen, ohne sich erst durch Berufung auf Präcedenzfälle
zu entschuldigen. Die Phasen dieses Umschwunges sind noch im frischen
Gedächtnis aller. Das Aufflackern der Wiener Frische, der localen Freude an
Formen und Farben, des regen Erfindungsgeistes, der Sucher- und Finderlust
unserer jungen Talente. Seit jenem ersten modernen Damenzimmer (Lefler-
Urban), durch das die Leitung des Österreichischen Museums die neue
Anschauung gleichsam experimentell bewahrheitete, hat der Geschmack
seinen natürlichen Reifeprocess durchge-
macht. Eine poetisch-malerische Strömung
hat von Wien ihren Ausgang genommen,
daneben aber eine besonnen-praktische sich
geltend gemacht. Jenes Altwien, das heute
den Kosenamen Biedermaier führt, hat un-
befangeneren Augen stille, solide Vorzüge
offenbart und manchen bewogen, sich von
diesem schätzbaren Urbild bürgerlichen
Behagens anregen zu lassen. Man ist heute
geneigt, darin das letzte eigentlich leben-
dige Stadium des bodenständigen Wiener
Kunstgewerbes zu erblicken, einen der
noch immer triebkräftigen Punkte, an
" Da eine Anzahl von Imerieurs der Winteraussxellung
vonvorneherein für die österreichische Kunstgewerbeausstel-
lungen in London und Turin bestimmt waren, so haben wir
es unterlassen, diesejetzt schon zu publiciren und behalxenuns
vor, Abbildungen derselben späterhin bei der Besprechung Lehnstuhl nach Altwiener Original ausgeführt
der genannten Ausstellungen zu bringen. Die Redacxion. von Ed. Huber