verlassen, um es mit einem neuen zu versuchen. Eine wahrhafte Renais-
sance, eine Wiedergeburt der Kunst im alten, historischen Sinne ist aber
aus alledem bisher nicht erwachsen.
Erinnern wir uns nun desjenigen, was wir als den Charakter der
drei zuletzt betrachteten Renaissancen kennen gelernt haben - d. i. der
beiden mittelalterlichen Renaissancen und der italienischen Renaissance
des 15. Jahrhunderts - und vergleichen wir es mit denjenigen Erschei-
nungen, die uns die Betrachtung der modernen Kunst gezeigt hat, so lässt
sich das Resultat etwa in folgender Weise zusammenfassen.
Den früheren Renaissancen lag die Absicht zu Grunde, die vor-
handene Kunst zu verbessern, zu verjüngen. Die moderne Kunst sucht
sich bei ihren Regenerationsbestrebungen vor Allem von dem zuletzt
Gewordenen zu befreien. Die historisch gewordene Kunst war den früheren
Renaissancen die feste Grundlage, auf welcher sie das Gebäude ihrer
Kunstverbesserung aufzuführen gedachten. Die heutige moderne Kunst
will vor Allem tabula rasa machen mit der Kunst von gestern. Kein
Schimpf ist heute noch zu arg, als dass man ihn der Kunst der Dreissiger und
Vierziger Jahre unseres Jahrhunderts nicht nachschleudern wollte. Und
doch ist jene Zeit verhältnissmäßig noch immer selbständiger gewesen im
Kunstschaffen, als unsere eigene. Also früher ein fester, sicherer Kunst-
boden, eine sozusagen geheiligte Tradition, die der Mode völlig entrückt
schien, gegenwärtig ein leidenschaftliches, rastloses Streben und Begehren
nach einem absolut Neuen, noch nicht Dagewesenen in der Kunst.
Daraus ergibt sich unmittelbar der zweite grundsätzliche Unterschied
zwischen den früheren Renaissancen und den jetzigen Reformbestrebungen.
Betraf jener erste die Grundlage, das bisherige Kunstschaffen, so be-
trifft dieser zweite Unterschied das Mittel zur Erneuung, zur Wieder-
geburt. Früher war man nicht einen Augenblick im Zweifel, welche Kunst-
weise man dazu benützen sollte. Das war eben der Segen der vorhandenen
festen und unverrückbaren Tradition, dass man genau wusste, was man
Neues wollte, und daher vollkommen treffsicher nach dem Einzigen grill",
das sich zur Verjüngung der eigenen gewordenen Kunst eignen konnte
das war eine dieser letzteren nächst verwandte Kunst. Die moderne Kunst
entbehrt dieser Sicherheit vollständig. Sie weiß längst nicht mehr, welche
Kunst ihr am verwandtesten ist. Sie fühlt sich im Grunde allen gleich
verwandt und allen gleich fremd. So schwankt sie von einem Vorbilde
zum anderen, jedes weiß sie äußerlich nachzuahmen, ohne sich innerlich
damit erfüllen zu können, und nach kurzer Weile wendet sie sich von
diesem doch nur oberflächlich gestreiften Vorbilde ab und einem anderen zu.
Wir sehen also klar und deutlich: sowohl im Verhältniss zu den herge-
brachten historischen Grundlagen des Kunstschatfens, als auch in demjenigen
zu den Mitteln einer Verjüngung steht die moderne Kunst in schroffem Gegen-
satze zu ihren glorreichen Vorgängerinnen. Und wenn wir die Erfolg-
losigkeit der bisherigen Reformbestrebungen der modernen Kunst im