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Durch den Jacquard’schen Stuhl in seiner Anwendung für
gewebte Leinen- und Baumwollenspitzen, besonders in seiner
Vervollkommnung, die er auf englischem Boden gefunden hat, ist
nun in neuester Zeit eine vollständige Revolution auf dem Gebiete
der Spitzenindustrie eingetreten Die früher so hoch geehrte
Kunst der Spitzenmanufaktur, die, wie Eingangs angedeutet wor
den ist, an Königshöfen, in Burgen und Schlössern, in Patrizier
wohnungen und Klöstern, nicht weniger aber auch in den letzten
Jahrhunderten von einer fleissigen Landbevölkerung in verschie
denen Distrikten Frankreichs und Deutschlands mit Hingabe und
Ausdauer als einträgliches Kunsthandwerk betrieben wurde, hat
in den letzten Jahren den platten und geistlosen Erzeugnissen
von meistens in Baumwolle gewebten Spitzen des Jacquard’schen
Stuhls weichen müssen. So ist es gekommen, dass man heute,
sowohl für kirchlichen wie profanen Gebrauch in tändelnden,
nichtssagenden Musterungen prahlendes Spitzenwerk im werth
losen Material von Baumwolle überall da gewahrt, wo früher
die kunstsinnige Hand in den schönsten und gewähltesten Des
sins, im feinsten Leinengespinnst gediegene Kunstwerke anzu
bringen wusste, die heute noch nach Jahrhunderten als Ueber-
bleibsel einer untergegangenen Kunstindustrie bleibenden Werth
haben, und die von Museen und Sammlungen nicht selten für
hohen Preis gesucht werden.
Erst in jüngster Zeit hat sich bei dem Bestreben, das sich
in allen Kreisen geltend macht, die Kunst der freien Hand
wieder zu emanzipiren von dem Druck und der Concurrenz der
x mechanischen Massenerzeugungeu, die Spitzen-Anfertigung in
erfreulicher Weise als Kunstindustrie wieder gehoben. Dank einer
geläuterten besseren Geschmacksrichtung, die sich in vielen
Kreisen der Gesellschaft Bahn gebrochen hat, ist sowohl für
Herstellung von kunstreich geklöppelten Spitzen, als auch für
Spitzen in Nadelarbeiten in den zwei letzten Jahrzehnten von
Industriellen in Frankreich, England und Deutschland Anerken-
nungswerthes geleistet worden. Die letzten grossen Weltaus
stellungen in Paris, London und Wien lieferten in den zahlreich
eingesendeten Concurrenzarbeiten den schlagenden Beweis, dass
man in Frankreich, Deutschland, Belgien und sogar in Russ-