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Volltext: Ausstellung Gotik in Österreich

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sie an spezieller kunsthislorischer Erkenntnis verschaffen möchte, auch 
eine allgemeinere Aufgabe; wie jede Art historischer Leistung von 
Bedeutung Vergangenheit für die Gegenwart erschließt, so tut es diese 
Ausstellung, indem sie an den Frühwerken der Malerei und Bildnerei 
in unserer Heimat die tiefsten Gründe der Begabung dieser Lande 
bloßlegt, im Spiegel jugendfrischer Bilder und Skulpturen uns unser 
eigenes Gesicht schauen läßt. Das Spiegelbild ist treu und es bedarf 
nicht gelehrter Bildung, sondern nur unbefangener Vertiefung, um den 
leichten Schleier der Fremdartigkeit, den jahrhundertelange Entrückung 
darüber gebreitet hat, schwinden zu machen. Mag der feist ausschließ 
lich religiöse Gedankenkreis, in dem diese Werke wurzeln, unserer 
profaneren Gesinnung so entrückt sein wie unserer vom Naturalismus 
des XIX. Jahrhunderts geschulten Sehweise die Primitivität ihrer 
Formen seltsam, so finden wir doch in der Anmut und in der 
Derbheit dieser Kunst den eigenen empfindungsreichen sinnlichen 
Schmucktrieb und eine frische Unbefangenheit und Schlichtheit, die 
wir im Guten und Schlechten als österreichisches Erbteil empfinden. 
Wie vollends die Freude an landschaftlicher Natur nicht als einem 
optischen Phänomen, sondern als Gegenstand leidenschaftlichen Gefühls 
sieghaft hervorbricht, das begrüßen wir gerührt als Teil des eigenen 
Ichs. 
Auch darin ist diese Kunst echt österreichisch, daß sie im Inland ver 
gessen wurde und im Ausland unbekannt geblieben ist. Unsere Aus 
stellung erfüllt eine längst fällige Ehrenpflicht, indem sie die Auf 
merksamkeit auf die hohe Bedeutung dieser Kunst lenkt, die mitten 
in der atemlosen Geschäftigkeit der neueren Kunstforschung ein Aschen 
brödel geblieben ist, obwohl sie nicht nur vieles hervorgebracht, was 
zu den besten Schöpfungen der deutschen Kunst des XIV. und 
XV. Jahrhunderts überhaupt gehört, sondern in vielen Aufgaben und 
Problemen dieser Kunst bahnbrechend vorangeschritten ist. 
Aber in der durchschnittlichen Kunstgeschichte haben Österreich, das 
künstlerischer Entfaltung so günstige Grenzgebiet zwischen Nord und 
Süd, und Wien, das mit Köln die bedeutendste Stadt Deutschlands 
war, noch nicht die ihnen gebührende Beachtung gefunden. Diese 
Geringschätzung der österreichischen Kunst hat nicht nur zur Folge, 
daß wir ihre wesentlichen Züge nur sehr allgemein kennen und auf 
Schritt und Tritt im Dunkeln tappen, sondern hat unser Land auch
	        
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