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kostbare Teile seines Kunsterbes gekostet. Während in allen deutschen
Gebieten der lokale Stolz sich eifrig bemüht hat, das Material der
engeren Heimat zu erschließen und zu erhalten, hat es in Österreich
an einer zentralen Sammelstelle für die mittelalterliche Kunst Öster
reichs gefehlt, bis Dörnhoffer in der Staatsgalerie diese Aufgabe auf
griff, die seit der Neuorganisation der staatlichen Museen für die
Bilder von der Gemäldegalerie am Kunsthistorischen Museum fort
geführt wird. Unwiederbringlicher Schaden war bereits geschehen,
österreichische Kunstwerke höchsten Ranges sind ins Ausland ge
wandert, wo sie in öffentlichen und Privatsammlungen — bisweilen
unter stolzeren Namen — ehrenvolle Plätze einnehmen; uns sind sie
dauernd entführt. Aber auch in letzter Zeit hat die Abwanderung
altösterreichischen Kunstbesitzes nicht aufgehört; eine ursprünglich von
dem Gottesleichnamsaltar St. Stephan stammende Figur, deren Gegen
stücke sich in einer öffentlichen Sammlung Wiens befinden, ist im
vorigen Jahre hier öffentlich versteigert und kampflos dem Metropolitan-
Museum in New York überlassen worden und wenige Wochen vor
Eröffnung unserer Ausstellung ist eines ihrer schönsten Stücke von einem
deutschen Museum erworben worden, obwohl es monatelang — aber
infolge mangelnder Mittel der öffentlichen Sammlungen erfolglos —■ in
Wien angeboten worden war. Daß wir uns auch am kulturellen National
besitz Deutschlands beteiligt fühlen, darf uns darüber nicht hinweg
täuschen, daß solche Fälle Schädigungen unseres Kunsterbes sind;
unsere Ausstellung möchte den Anstoß dazu geben, daß die öster
reichische Gotik in der Heimat eine Heimat finde. Sie will das
Interesse für diese ehrwürdigen Urkunden unserer Kunst wachrufen,
für die nun endlich auch die Stunde der wissenschaftlichen Erschließung
gekommen zu sein scheint; eine neue Generation jüngerer Forscher —
von denen die meisten dem Arbeitsausschuß der Ausstellung angehören
— haben sich zur Pflicht gemacht, lang Versäumtes einzubringen.
Daß unsere Kenntnisse noch schwankende und ungenaue sind, hat uns
veranlaßt, den Grundsatz, daß nur gotische Werke österreichischer
Herkunft in diese Ausstellung aufgenommen werden sollen, nicht streng
zu handhaben; manches wurde einbezogen, weil es aus verwandten
Kunstgebieten stammt, weil es Einflüsse auf Österreich geübt hat oder
weil es etwa durch jahrhundertelange Anwesenheit hier Heimatrecht er
worben hat. Das aufgenommene fremde Gut soll Licht verschiedener