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fast ausschließlich patriotischen Charakter annahiu und der Zukunft leidenschaftlich
zugewendet, zuletzt einer mystischen Richtung anheim fiel. Was man auch immer an ihr
aussetzen mag, so bleibt doch gewiß, daß sich in ihr die polnische Literatur durch geniale
Geister und große Künstler zu einem würdigen Rang unter den Literaturen Europas erhob
und daß sie der Beweis eines mächtig pulsirenden nationalen Lebens und zugleich ein
Mittel zu dessen Kräftigung war.
Nun war aber diese glorreiche Epoche zu Ende. Miekiewicz hatte schon vor Jahren
zn dichten anfgehört und seit seinen Vorträgen im 6o1lö»k de b'rairea so gut wie nichts
mehr geschrieben. Er starb in Constantinopel 28. November 1855. Skowacki schied schon
im April 1849 aus dem Leben. Krasinski lebte noch zehn Jahre länger. Er arbeitete an
einem Werk, welches gleichsam der erste Theil seiner Ungöttlichen Komödie werden
sollte, aber unvollendet blieb. Der Dichter ist in Paris am 23. Februar 1859 gestorben.
Sobald einmal diese Dichter den Schauplatz dichterischer Thätigkeit verließen, mußte
natürlich eine Veränderung im Zustande der polnischen Literatur eintreten. Die Blütezeit
war dahin; die nächstfolgenden Jahre (bis 1863) können als eine Übergangsperiode
betrachtet werden, in welcher weder neue Ideen und Richtungen, noch Talente ersten
Ranges anftreten. In der Dichtung füllt jetzt Pol den größten Raum mit seinen Werken
aus. Er dichtete viel, wie er denn auch von allen Dichtern dieser Jahre unstreitig das größte
Talent besaß. Auch erweitert er seinen Schöpfnngskreis; bisher fast ausschließlich lyrisch, geht
er jetzt an größere erzählende Gedichte. Es sind dies kleinere charakteristische Begebenheiten
aus dem altpvlnischen Leben, wie die Senatorenversöhnung und der Landtag
zu Sadvwa Wisznia, einige mit einem heroischen Anstrich, wie der Mvhort,
andere endlich einer entlegenen Vergangenheit entnommen, wie Hetmanns Knappe
(Hetmanskie Pacholx) dem XVI., Veit Stwosz (der Bildhauer) dem XV. Jahrhundert.
Die Gedichte sind unleugbar originell, doch läßt sich in denselben ein gewisser Mangel an
künstlerischem Sinn und Plastik in den Figuren nicht verkennen. Jedenfalls fühlte sich Pol
in der Lyrik auf seinem Gebiete, und er schuf in dieser Gattung sogar im Alter Manches,
was den Gedichten seiner Jugendzeit ebenbürtig zur Seite steht. Das Lied von Unserem
Hanse, welches er als Pendant zum Liede von unserem Lande schrieb, mag jenem
überlegen sein. Gegen Ende seines Lebens erblindet, starb er zu Krakau im Jahre 1872.
Ihm schließt sich Wladyskaw Syrokvmla (Pseudonym des Ludwig Kvndratvwiez
1823 bis 1862) an. Die Ideen mehr modern und demokratisch, das Talent bedeutend
geringer. Theophil Lenartowicz (1822 bis 1892) ist selbständiger, eigenartiger, nur
wird seine Originalität durch häufige Wiederholung zur Einförmigkeit.
Ujejski ließ nach den Hieremias-Klagen ein paar Bändchen Gedichte erscheinen,
unter ihnen die Biblischen Melodien, die sich durch schöne Form und ungewöhnliche