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D ie Ausstellung „Gotik in Österreich“ ist die fünfte in der Reihe
der großen retrospektiven Veranstaltungen des Vereins der
Museumsfreunde in Wien. Die erste „Von Füger bis Klimt war
aus einem nach dem Krieg und durch seine Folgen leicht verständ
lichen Bedürfnis nach Hingabe an die engste Heimat erwachsen;
ein zusammenfassender Blick auf das Jahrhundert der Wiener Malerei,
das ihr klassisches war, sollte das kulturelle Selbstbewußtsein unserer
so schwer geprüften Stadt bekräftigen. Die darauffolgende italienische
Renaissanceausstellung und die der Meisterwerke der französischen
Malerei des XIX. Jahrhunderts haben den Anspruch Wiens betont,
im Sammeln alter wie im Genießen moderner Kunst den internationalen
Zentren zugezählt zu werden. Die Jahrhundertschau deutscher Malerei
endlich war bestimmt, für das XIX. Jahrhundert, in dem öster
reichische Sonderart sich politisch und kulturell selbstbewußter aus
geprägt hatte, von der bei uns viel zu wenig gewürdigten großen
künstlerischen Leistung des stammverwandten deutschen Volkes eine
Vorstellung zu vermitteln.
Auch die Ausstellung „Gotik in Österreich“ ist eine deutsche Aus
stellung, aber sie ist zu gleicher Zeit eine österreichische; sie bezeugt
die Begabung unseres Landes zu einer Zeit, als dieses nichts war als
ein Teil des Deutschen Reiches, als es sich noch nicht mit einer Reihe
anderer Stämme zu einem neuen Reich verbunden hatte, also eigentlich
ehe es Österreich wurde. Die Beschränkung auf jenes Ländergebiet, auf
das das heutige Österreich wieder eingeengt ist, wirft für das Gebiet
bildender Kunst die durch die nachmalige Entwicklung verdunkelte Frage
nach dem Anteil des Österreichischen an der Ganzheit des Deutschen auf;
was ist an dieser Kunst deutsches Allgemeingut und was ist österreichische
Sonderart? Die Frage, die wir als eine zentrale auch unseres eigenen
Daseins empfinden, stellt dieser Ausstellung über all das hinaus, was